Kleiner Rohrkolben – Genetische Grundlagen für erfolgreiche Wiederansiedlungen

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Abb. 1: Der Kleine Rohrkolben ist an seinen fast kugeligen Fruchtständen gut erkennbar (Foto: Daniela Csencsics).

Einleitung

Angesiedelte Exemplare des Kleinen Rohrkolbens leben oft nicht lange. Manchmal liegt es daran, dass der gewählte Ort für die Ansiedlung ungeeignet ist. Dass sich ein Bestand nicht wunschgemäss entwickelt, kann aber auch andere, weniger offensichtliche Gründe haben. NaturschutzgenetikerInnen weisen darauf hin, dass kleine, isolierte Pflanzenpopulationen oft Inzucht und eine verminderte Fitness zeigen. Ist dies auch beim Kleinen Rohrkolben der Fall?

Der kleine Rohrkolben

Der Kleine Rohrkolben (Typha minima; Abb. 1) ist in seinem ganzen europäischen Verbreitungsgebiet gefährdet, da er an einen speziellen, heute sehr seltenen Lebensraum (Abb. 2) angepasst ist. Er gilt als Zielart von Flussauen und gedeiht als lichtbedürftige Pionierpflanze in sandigen bis schlickigen Uferbereichen von ruhigen, neu entstandenen Tot- oder Nebenarmen gebirgsnaher Wildflüsse. Direkt am Hauptflussufer ist die Strömung für die Art zu stark. Bei ungestörter Sukzession (nach ca. 10 bis 20 Jahre) wird der konkurrenzschwache Kleine Rohrkolben von anderen, hochwüchsigeren Arten wie Schilf und Weiden verdrängt. Er ist deshalb darauf angewiesen, immer wieder frische Rohböden zur Neubesiedlung vorzufinden. Wie andere Zielarten von Flussauen (z.B. Deutsche Tamariske) kann der Kleine Rohkolben nur überleben, solange die Auendynamik nicht oder nur wenig gestört ist und der Fluss immer wieder geeignete Pionierstandorte schafft. Entscheidend für das Überleben des Kleinen Rohrkolbens in einem Gebiet ist, dass die Auen eine gewisse Mindestgrösse besitzen, da bei Hochwassern und durch die Auensukzession immer wieder Teilpopulationen verloren gehen bzw. lokal neu entstehen.

Abb.2: Konkurrenzfreier Rohboden ist Voraussetzung für die Etablierung des Kleinen Rohrkolbens (Foto: Daniela Csencsics).
Abb.2: Konkurrenzfreier Rohboden ist Voraussetzung für die Etablierung des Kleinen Rohrkolbens (Foto: Daniela Csencsics).

In den Alpenländern gibt es nur noch in Frankreich einige grössere Populationen des Kleinen Rohrkolbens. In Italien, Österreich und der Schweiz sind hingegen nur isolierte und kleine Populationen übrig und in Deutschland sind die früher grossen Vorkommen ganz erloschen. In der Schweiz war die Art entlang von grösseren Flüssen früher verbreitet. Heute gibt es nur noch vier natürliche Bestände: drei in Graubünden und einen bei Sennwald (SG) am Alpenrhein. Um die Art in der Schweiz zu erhalten, wurden und werden in verschiedenen Kantonen Wiederansiedlungen durchgeführt. Bislang wurde vor allem darauf Wert gelegt, für die Ansiedlungen geeignete Habitate zu finden. Dies ist eine schwierige Aufgabe, da die Lebensraumansprüche des Kleinen Rohrkolbens speziell sind und passende Lebensräume in der Schweiz kaum noch vorkommen. Diverse Ansiedlungen waren denn auch nicht erfolgreich. Aus genetischer Sicht kann eine Population zum Beispiel schlecht gedeihen, weil die verwendeten Gründerpflanzen aufgrund ihrer Herkunft nicht an die örtlichen Bedingungen angepasst sind oder weil Inzucht zu verminderter Fitness führt.
In einer vom BAFU und dem Kanton Zürich finanzierten Studie wurde die genetische Struktur aller natürlichen Schweizer Populationen sowie ausgewählter Ansiedlungen untersucht. Um den Zustand der Schweizer Populationen besser einschätzen zu können, wurden auch Populationen in Österreich, Frankreich und Italien untersucht. Von allen Populationen wurde neben der genetischen Struktur auch das Ausmass des klonalen Wachstums ermittelt. Zusätzlich wurde mit Rohrkolbensamen von ausgewählten Flüssen ein Experiment im Gewächshaus durchgeführt, um die Fitness der verschiedenen Populationen zu bestimmen. Die Resultate erlauben es, für den Naturschutz wichtige Fragen zu beantworten und entsprechende Empfehlungen zu geben.

Wo sollen Pflanzen für Wiederansiedlungen gesammelt werden?

Um zu entscheiden, wo Pflanzenmaterial für Wiederansiedlungen gesammelt werden soll, ist es wichtig zu wissen, welche bestehenden Populationen sich genetisch ähnlich sind, damit an einem Ort Pflanzenmaterial aus der gleichen genetischen Gruppe angepflanzt werden kann. Mehrheitlich bildeten Proben aus einem Flusssystem eine genetische Gruppe. Nur in der Schweiz ist die Situation komplexer. Hier gibt es einzelne Populationen, die eigene Gruppen bilden. Da die betroffenen Populationen klein und isoliert sind, sind die Gründe hierfür wahrscheinlich genetische Drift, also die zufällige Veränderung der genetischen Vielfalt in einem Bestand, und im Fall einer Ansiedlung ein Gründereffekt. Um die natürliche Struktur zu erhalten, wird deshalb empfohlen, für Ansiedlungen soweit möglich Pflanzen aus dem gleichen Flusssystem zu verwenden.

Abb3
Abb. 3: In einem Gewächshausexperiment wurden über 6000 Samen von Pflanzen aus vier Flusssystemen angesät und anschliessend die Keimfähigkeit und das Trockengewicht von Trieben, Rhizomen und Wurzeln sowie die Anzahl der Triebe nach einem Jahr gemessen (Foto: Daniela Csencsics).

Haben kleine, isolierte Populationen eine verminderte Fitness?
Eine negative Folge von Inzucht in kleinen, isolierten Populationen kann eine verminderte Fitness sein. Das bedeutet, dass eine Pflanze zum Beispiel weniger und/oder nicht keimfähige Samen produziert oder dass die Nachkommen weniger gut wachsen und sich schlechter fortpflanzen können.
In einem Gewächshausexperiment (Abb. 3) keimten 15% der ausgesäten Samen. Die Samen von zwei Populationen keimten schlechter als alle anderen: Es handelt sich dabei um zwei sehr kleine, isolierte Populationen in der Schweiz am Rhein. Beide sind von der Flussdynamik weitgehend abgeschnitten und die Konkurrenz durch andere Pflanzenarten ist gross. Es gibt an beiden Orten kaum passenden Rohboden für die Keimung von Samen des Kleinen Rohrkolbens. Bereits beim Sammeln fiel auf, dass es in einer dieser zwei Populationen nur wenige Fruchtstände gab. Bei der Anzahl Triebe nach einem Wuchsjahr, dem Trockengewicht von Trieben, Rhizomen und Wurzeln fanden wir hingegen keine Unterschiede zwischen den im Experiment verwendeten Pflanzen verschiedener Populationen. Dies lässt sich damit erklären, dass weniger fitte Samen bereits bei der Keimung ausschieden.
Es scheint, dass die beiden kleinen, isolierten Rheinpopulationen tatsächlich eine verminderte Fitness aufweisen. Um diese beiden Populationen zu erhalten, wären aus genetischer Sicht wahrscheinlich Ansiedlungen von Pflanzen aus anderen Rheinpopulationen hilfreich. Zusätzlich müsste aber dafür gesorgt werden, dass durch natürliche oder künstliche Dynamik ausreichend Rohboden zur Neubesiedlung geschaffen wird.

Abb. 4. Freigelegte Rhizome des Kleinen Rohrkolbens (Foto: Daniela Csencsics).
Abb. 4. Freigelegte Rhizome des Kleinen Rohrkolbens (Foto: Daniela Csencsics).

Welche Rolle spielt klonales Wachstum?
Wie klonal wachsen Rohrkolben? Um das zu klären, wurden in einem Teil der Populationen räumlich verdichtet Proben des Kleinen Rohrkolbens gesammelt (Abb. 4). Besonders an Flüssen mit nur wenigen Populationen wurde ausgeprägtes klonales Wachstum gefunden. Es wäre darum sinnvoll, vor der Entnahme von Pflanzen für Ansiedlungen die gewählte Quellpopulation genetisch zu untersuchen oder mindestens Pflanzen auf einer möglichst grossen Fläche der Population zu berücksichtigen, um die lokal vorhandene genetische Vielfalt möglichst gut abzudecken. Es ist einem Bestand nicht anzusehen, ob er aus vielen oder nur wenigen Klonen besteht. Einzelne der untersuchten Populationen enthielten nur einen oder zwei Klone. Um einen starken Gründereffekt bei Ansiedlungen zu vermeiden, sollten solche Populationen nicht als Quelle für Pflanzmaterial ausgewählt werden.

Zusammenfassung
(1) Um die natürliche genetische Struktur des Kleinen Rohrkolbens zu erhalten, sollten Pflanzen für Ansiedlungen aus dem jeweils gleichen Flusssystem stammen.
(2) Die zwei kleinen Populationen am Rhein keimten schlechter als die anderen untersuchten Populationen. Um diese Populationen langfristig zu erhalten, könnten Ansiedlungen von Pflanzen aus anderen Rheinpopulationen hilfreich sein. Zudem müsste ausreichend Rohboden zur Neubesiedlung geschaffen werden.
(3) Das Ausmass des klonalen Wachstums variiert zwischen Populationen stark; einzelne Populationen bestehen nur aus einem oder zwei Klonen. Solche Populationen sollten als Quellpopulationen für Ansiedlungen vermieden werden.

Dank
Wir danken D. Hepenstrick, B. Koch, N. Müller, Ph. Werner, A. Koller, A. Gall, S. Brodbeck, Q. Kupper, F. Gugerli, W. Niederer, D. Galeuchet, W. Petutschnig, G. Egger, Ch. Rellstab und M. Camenisch für vielfältige Unterstützung im Labor, bei der Feldarbeit und für wertvollen Informationsaustausch. Für finanzielle Unterstützung danken wir dem Bundesamt für Umwelt BAFU und dem Kanton Zürich.

Kontakt

DANIELA CSENCSICS
Email daniela.csencsics@wsl.ch

WSL Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft
Zürcherstrasse 111
8903 Birmensdorf