Bergahornweiden im Alpenraum – Kulturrelikt und Hotspot der Biodiversität

Bergahornweiden sind eine traditionelle Kulturlandschaft der Alpen, die seitens des Natur- und Landschaftsschutzes bislang wenig beachtet wurde. Die meist alten und mächtigen Bergahorne dieser Weiden sind ausgesprochen reich an Moos- und Flechtenarten, darunter auch viele gefährdete Arten. Damit die heute nur mehr kleinflächig vorhandenen Bergahornweiden mit ihren typischen Arten nicht verschwinden, sollten konkrete Förderprojekte initiiert werden.

Einleitung
Die Landschaften der Schweiz haben sich im letzten Jahrhundert enorm verändert (Ewald und Klaus, 2009) und insbesondere traditionelle Kulturlandschaften stehen weiterhin unter Druck. Mit dem Verschwinden dieser Kulturlandschaften geht auch meist ein Verlust an Artenvielfalt und Landschaftsqualität einher. Dies ist besonders im Schweizer Mittelland augenfällig. Doch auch in den Alpen werden traditionelle Kulturlandschaften zunehmend seltener. Dabei wird eine duale Entwicklung beobachtet: Einerseits werden gut zugängliche Gebiete intensiver bewirtschaftet, andererseits abgelegene oder steile Gebiete nicht mehr genutzt (Baur et al. 2007). Auf nicht mehr genutzten Flächen kann sich der Wald ausdehnen. Beide Prozesse führen zu einem Verschwinden von Elementen der traditionellen Kulturlandschaft und damit ökologisch wertvoller Flächen mit ihrer typischen Biodiversität.

Eine nur mehr kleinflächig vorhandene, traditionelle Kulturlandschaft des nördlichen Alpenraums sind die Bergahornweiden (Abb. 1). Bergahornweiden stellen mit ihrem landschaftsprägenden, parkähnlichen Charakter eine Besonderheit unter den traditionellen Kulturlandschaften des Alpenraums dar. Bisher war allerdings nur sehr wenig über ihren Ursprung, ihre Nutzung und ihre Biodiversität bekannt und sie wurden kaum als eigenständige Kulturlandschaft wahrgenommen. Mittels Zeitzeugeninterviews und Literaturstudium sowie detaillierten Erhebungen der Moose, Flechten und Blütenpflanzen in sechs Alpentälern der Schweiz, Österreichs und Deutschlands wurde nun das Wissen über die Bergahornweiden verbessert. Die Resultate dieser Untersuchungen sind in einem Buch der Bristol-Stiftungsreihe umfassend dargestellt (Kiebacher et al. 2018), hier werden zusammenfassend die wichtigsten Ergebnisse präsentiert.

Abb. 1. Typische Bergahornweide im Reichenbachtal im Berner Oberland (Foto: Thomas Kiebacher).

Verbreitung der Bergahornweiden
Das Hauptverbreitungsgebiet der Bergahornweiden liegt in den regenreichen und kühlen Nordalpen. Im übrigen Alpenraum kommt der Bergahorn zwar vor, Bestände auf offenen Weideflächen sind aber nur sehr vereinzelt und kleinflächig anzutreffen (z.B. im Aostatal).
Die grössten und typischsten Bestände finden sich im zentralen Bereich der Nordalpen, vom Kanton Fribourg bis Salzburg. In der Schweiz findet man besonders schön ausgeprägte Bergahornweiden vor allem im Berner Oberland. Dort sind zum Teil noch ausgedehnte Bestände mit teils uralten Bäumen vorhanden, so zum Beispiel im Diemtigtal, in Grindelwald, im Reichenbachtal, auf der Axalp oder bei Beatenberg. Weitere Gebiete in denen ausgedehnte und typische Bestände vorkommen, sind der Kanton Glarus, das Prättigau (Graubünden), das Karwendelgebirge und die Kitzbühler Alpen in Nordtirol sowie die Bezirke Pinzgau und Pongau in Salzburg. Die grösste und wohl auch beeindruckenste Bergahornweide befindet sich am Grossen Ahornboden im Karwendelgebirge (Tirol): Auf einer Fläche von 240 ha stehen über 2400 Bergahorne (Sonntag und Straubinger, 2014). Ausserhalb der Alpen wurden uns Bergahornweiden aus der Auvergne in Frankreich und aus dem Jura gemeldet. Im Jura sind vor allem am Chasseral typische Bestände mit alten Bäumen vorhanden.

Kulturgeschichte und Nutzung
Der Ursprung der Bergahornweiden ist unklar. Wahrscheinlich scheint, dass sie aus früheren Waldweiden hervorgegangen sind. Der Bergahorn wurde bei Rodungen in diesen Wäldern möglicherweise geschont und aufkommende Bergahorne auf den Weiden wurden beim Schwenden teilweise nicht entfernt. Dies deshalb, weil der Bergahorn sehr vielfältig genutzt wurde. Die nährstoffreichen und sich leicht zersetzenden Blätter lieferte eine wertvolle Streue für die Ställe. Die Blattstreue erlangte zu Zeiten in denen Streuenot herrschte, wie dies in der Schweiz im 19. Jahrhundert der Fall war, wirtschaftliche Bedeutung. So wurde zum Beispiel auf Alpen im Reichenbachtal jährlich jeder einzelne Bergahorn an die Bauern im Tal versteigert. Der Meistbietende hatte dann das Recht, das Laub des entsprechenden Baumes zu nutzen. Teilweise wurde das Bergahornlaub auch als Futter genutzt. Dazu durften z.B. am Grossen Ahornboden die Bäume nicht geschneitelt werden, sondern das Laub musste durch schonendes Abstreifen der Blätter gewonnen werden. Natürlich wurde auch das Holz genutzt und gerne als Brennholz, Möbelholz oder für Küchengeräte wie Schüsseln, Teller, Kochlöffel und insbesondere für Geräte für die Käseproduktion verwendet. Aufgrund seiner Feinporigkeit ist es hygienischer als z.B. das grossporige Eschenholz. Heute werden die Bäume kaum mehr genutzt und selten findet man junge Bäume auf den Weiden. Die Bergahorne dienen aber weiterhin dem Vieh als Schutz- und Schirmbäume. Ausserdem werden gerade die alten, mächtigen Bäume als schönes Landschaftselement von der ansässigen Bevölkerung geschätzt und gewinnen auch im Tourismus und Naherholung zunehmend an Wertschätzung. So wurde im Reichenbachtal z.B. ein Bergahorn Naturerlebnispfad eingerichtet (Kiebacher und Hofmann, 2015).

Biodiversität
Bergahornweiden im Alpenraum haben nicht nur eine kulturhistorische und landschaftsästhetische Bedeutung, sondern sind auch ein Hotspot für baumbewohnende
Flechten und Moose (Abb. 2). Auf den insgesamt 90 untersuchten Bäumen wurden 176 Moosarten und 232 Flechtenarten gefunden, darunter 51 Arten der Roten Listen (Schnyder et al. 2004, Scheidegger et al. 2002). Pro Baum kamen im Durchschnitt 73 Moos- und Flechtenarten vor mit einem Maximum von 108 Arten auf einem Baum. Erstaunlicherweise wurden auch 130 verschiedene Gefässpflanzen auf den Bäume gefunden, die in den grossen, mit Erde angereicherten Astgabeln oder zwischen
dicken Moosteppichen wachsen können.

Abb. 2. Artenzahlen der untersuchten Organismen auf 90 Bergahornbäumen in den Nordalpen. Der Anteil der Arten, die ausschliesslich auf der Rinde lebender Bäumen wachsen können (obligate Epiphyten), ist grau dargestellt. Vermutlich ermöglicht es das feuchte Klima vielen Arten, die eigentlich andere Substrate bevorzugen (fakultative Epiphyten; weiss dargestellt) die Bergahorne zu besiedeln.

Bei den Erhebungen wurde auch in den Baumkronen nach Moosen und Flechten gesucht (Abb. 3), was bisher in der Schweiz noch nie gemacht wurde. Dabei konnte gezeigt werden, dass die Baumkronen für diese Organismen einen sehr wichtigen Lebensraum darstellen. Vor allem bei den Flechten wurden viele Arten nur in den Baumkronen gefunden, darunter viele gefährdete Arten: 74 Prozent oder 29 Flechtenarten der Roten Liste wuchsen häufiger in den Baumkronen als an den Stämmen (Abb. 4). Die Artenvielfalt auf den untersuchten Ahornbäumen der Bergahornweiden ist weit höher als auf Waldbäumen in anderen Gebieten Europas. Boch et al. (2013) fanden z.B. auf Buchen (Fagus sylvatica), Fichten (Picea abies) und Waldföhren (Pinus sylvestris) in Wäldern in Deutschland im Mittel nicht mehr als 6 Moos- und 11 Flechtenarten pro Baum. Ein für die Artenvielfalt wichtiger Faktor ist neben dem Baumalter (ältere Bäume sind artenreicher) auch die Vernetzung: je isolierter die Bäume standen, desto weniger Flechtenarten wurden auf den Bäumen gefunden. Bei den Moosen hatte die Vernetzung kaum einen Effekt auf die Artenzahl. Das gefährdete und für den Naturschutz prioritäre Rudolphis Trompetenmoos (Tayloria rudolphiana; Abb. 5), welches fast ausschliesslich auf Ahornbäumen der Bergahornweiden vorkommt, reagierte allerdings anders als die Mehrzahl der Moose deutlich negativ auf eine zu geringe Vernetzung: je weniger Bäum im Umkreis von 50 m vorkamen, desto kleiner war die Wahrscheinlichkeit, dass Rudolphis Trompetenmoos vorkam. Auch die Bodenvegetation der Bergahornweiden ist ausgesprochen artenreich. Flechten haben hier allerdings nur eine geringe Bedeutung. Auf 48 Untersuchungsflächen à 30 m2 wurden insgesamt 346 Gefässpflanzen und 278 Moosarten gefunden. Im Mittel kamen pro Untersuchungsfläche 39.5 Gefässpflanzenarten und 27 Moosarten vor. Es zeigt sich, dass die Bäume die Artenvielfalt der Weiden stark beeinflussen, indem sie die kleinstandörtliche Heterogenität auf den Weiden erhöhen und damit Nischen für zusätzliche Arten schaffen.

Abb. 3. Entspanntes Sammeln von Moosen und Flechten in der Baumkrone
eines Bergahorns dank guter Sicherung mit Seilen (Foto: Julia Ecker).
Abb. 4. Die stark gefährdete Scheiben-Bartflechte (Usnea florida) ist eine
typische Art des Kronenbereichs (Foto: Christoph Scheidegger).

Schlussfolgerungen
Bergahornweiden sind eine traditionelle Kulturlandschaft der Alpen, die über Jahrhunderte nachhaltig gepflegt wurden. Die alten Bergahorne prägen die Landschaft und verleihen ihr einen besonderen Reiz. Bergahornweiden sind der Lebensraum einer Vielzahl von Organismen, darunter zahlreiche seltene und gefährdete Arten. Im Vergleich zu traditionellen Kulturflächen wie Streuwiesen, Trockenrasen oder Streuobstkulturen haben Bergahornweiden bislang wenig Aufmerksamkeit seitens des Naturschutzes erhalten. Heute sind Bergahornweiden ein zunehmend seltener und bedrohter Landschaftstyp. Junge Bäume sieht man kaum auf den Weiden, da alte Bäume oft nicht ersetzt werden, wenn sie absterben. Es ist deshalb wichtig, dass der hohe Wert dieses Lebensraums erkannt wird und konkrete Förderprojekte initiiert werden. Die im Allgemeinen positive Einstellung der Bevölkerung gegenüber den Bergahornweiden bietet eine wichtige Basis, um Förderprojekte erfolgreich umzusetzen.

Abb. 5. Das sehr seltene Rudolphis Trompetenmoos (Tayloria rudolphiana)
ist auf den Lebensraum Bergahornweiden und auf eine gute Vernetzung
der Bergahornbäume angewiesen (Foto: Thomas Kiebacher).

Kontakt
THOMAS KIEBACHER
Nationales Daten- und Informationszentrum der
Schweizer Moose (Swissbryophytes), Institut für
Systematische und Evolutionäre Botanik, Universität
Zürich, Zollikerstrasse 107, 8008 Zürich
Email thomas.kiebacher@uzh.ch /
Eidgenössische Forschungsanstalt WSL
FE Biodiversität & Naturschutzbiologie
Zürcherstrasse 111, 8903 Birmensdorf

CHRISTOPH SCHEIDEGGER
Eidgenössische Forschungsanstalt WSL
FE Biodiversität & Naturschutzbiologie
Zürcherstrasse 111, 8903 Birmensdorf
Email christoph.scheidegger@wsl.ch

MATTHIAS BÜRGI
Eidgenössische Forschungsanstalt WSL
FE Landschaftsdynamik
Zürcherstrasse 111, 8903 Birmensdorf
Email matthias.buergi@wsl.ch

ARIEL BERGAMINI
Eidgenössische Forschungsanstalt WSL
FE Biodiversität & Naturschutzbiologie
Zürcherstrasse 111, 8903 Birmensdorf
Email ariel.bergamini@wsl.ch

Literatur
Baur P., Müller P., Herzog, F. 2007. Alpweiden im Wandel.
Agrarforschung 14: 254-259.

Boch S., Müller J., Prat D., Fischer M. 2013. Up in the
tree – The overlooked richness of bryophytes and
lichens in tree crowns. PLoS One 8, 12: 1–8.
doi:10.1371/journal.pone.0084913

Ewald K.C., Klaus G. 2009. Die ausgewechselte Landschaft.
Haupt, Bern.

Kiebacher T., Bergamini A., Scheidegger C., Bürgi M.
2018. Bergahornweiden im Alpenraum. Kulturgeschichte,
Biodiversität und Rudolphis Trompetenmoos.
Bristol-Stiftung, Haupt, Bern.

Kiebacher T., Hofmann H. 2015. Bergahornweg
Schwarzwaldalp – Rosenlaui. UNESCO-Welterbe
Schweizer Alpen Jungfrau-Aletsch, Naters.

Schnyder N., Bergamini A., Hofmann H., Müller N.,
Schubiger-Bossard C., Urmi E. 2004. Rote Liste der
gefährdeten Moose der Schweiz. BUWAL-Reihe:
Vollzug Umwelt. BUWAL/FUB/NISM, Bern.

Scheidegger C., Clerc P., Dietrich M., Frei M., Groner
U., Keller C., Roth I., Stofer S., Vust M. 2002. Rote
Liste der gefährdeten baum- und erdbewohnenden
Flechten der Schweiz. BUWAL-Reihe Vollzug Umwelt.
BUWAL/WSL/CJBG, Bern.

Sonntag H., Straubinger F. 2014. Großer Ahornboden:
Eine Landschaft erzählt ihre Geschichte. Berenkamp,
Wattens.