Wiesenbrüter: Neue Karten für die Naturschutzplanung im Berg- und Sömmerungsgebiet

URS G. KORMANN , CLAIRE LISCHER , STEPHANIE MICHLER , HUBERT SCHÜRMANN , RETO SPAAR , MAURO MARTY , NICA HUBER

Wiesen und Weiden in höheren Lagen gelten als letzte Refugien für gefährdete bodenbrütende Vögel in der Schweiz. Die Schweizerische Vogelwarte hat hochaufgelöste Karten entwickelt, die Vorkommens- und Potenzialgebiete von fünf schutzrelevanten Vogelarten im Grünland der Bergzonen I-IV und im Sömmerungsgebiet zeigen. Diese Karten unterstützen den Natur- und Landschaftsschutz bei der Planung von Fördermaßnahmen, Erfolgskontrollen und der Beurteilung potenzieller Zielkonflikte. Ab März 2025 sind die Karten und Begleitdokumente kostenlos online verfügbar und werden periodisch aktualisiert.

 

Einleitung

Wiesen und Weiden im Schweizer Berggebiet beherbergen eine außerordentliche Biodiversität. Diese Gebiete spielen eine wichtige Rolle für den Schutz gefährdeter, wiesenbrütender Vögel. Sie stehen aber zunehmend unter Druck durch Vergandung, größere Infrastrukturprojekte und landwirtschaftliche Intensivierung (z.B. früherer Nutzungstermin, Umwandlung in intensiv genutzte Futterwiesen, Meliorationen). Genaue Kenntnisse über das Vorkommen der darauf angewiesenen Arten sind für die Erhaltung dieser wertvollen Lebensräume notwendig. Eine räumlich detaillierte, flächendeckende Erfassung der Vogelbestände ist jedoch aufwändig und teuer. Wir kombinierten technische Neuerungen in der Fernerkundung mit dem Datenfundus der Schweizerischen Vogelwarte Sempach, um diese Lücke zu füllen. Zur Förderung von Wiesenbrütern in höheren Lagen erarbeiteten wir Karten zum Habitatpotenzial und zu den bekannten, wahrscheinlichen und fehlenden Brutzeitvorkommen von fünf Einzelarten, ebenso wie eine kombinierte Karte über alle fünf Arten. Die Karten beschränken sich auf grünlanddominierte Lebensräume der Bergzonen I-IV sowie des Sömmerungsgebietes und umfassen folgende Arten: Braunkehlchen, Feldlerche, Heidelerche, Baum- und
Wiesenpieper (Abb. 1). Diese Bodenbrüter sind auf der Roten Liste als potenziell gefährdet oder verletzlich eingestuft und die meisten gehören zu den national prioritären
Vogelarten. Sie unterscheiden sich zwar in ihren spezifischen Lebensraumansprüchen (Offenheit des Geländes, Bedarf an Gehölzen und Sitzwarten), leiden jedoch alle unter intensiver landwirtschaftlicher Nutzung und profitieren von großflächiger, später Mahd (ab dem 1. bzw. 15. Juli, je nach Höhenlage) oder geringem Beweidungsdruck während der Brutzeit.

 

Sömmerungsgebiete, Feldlerche, Braunkelchen
Abb1: Für das Berg- und Sömmerungsgebiet entwickelten wir hochaufgelöste Karten zu Vorkommens- und Potentialgebieten von folgenden Wiesenbrütern (von oben links nach unten mittig): Braunkehlchen (Foto: Heinz Rothacher), Feldlerche, Heidelerche, Baumpieper, Wiesenpieper (alle Fotos: Marcel Burkhardt); unten rechts: artenreiches Grünland mit Wiesenbrütervorkommen (Foto: Reto Spaar).

 

Karten für Einzelarten

Um Einzelartkarten für die fünf Vogelarten zu erstellen, wurde ein zweistufiges Verfahren angewandt. Mit einem grenzwertbasierten Vorgehen teilten wir zuerst die Fläche im Berg- und Sömmerungsgebiet für jede Art in potenziell geeignet vs. ungeeignet mit einer Auflösung von 10x10m ein. Hierfür wurden relevante, flächendeckend vorhandene und hochaufgelöste Umweltvariablen zu Habitatansprüchen verwendet, wie z.B. Topografie (Baltensweiler et al. 2020), Mikroklima (Zellweger et al. 2024), Bodeneigenschaften (Descombes et al. 2020), Grünheit (Koch et al. 2024), LiDAR basierte Gehölzhöhe (swissSURFACE3D; swisstopo 2024) oder Landnutzung (swissTLM3D, swisstopo 2024, geodienste.ch). Artspezifische Grenzwerte basierten auf Präsenz/Absenzdaten von systematischen Brutvogelerhebungen (Monitoring häufige Brutvögel (Schmid et al. 2004), Schweizer Brutvogelatlas (Knaus et al. 2018), Biodiversitätsmonitoring Schweiz (Hintermann et al.2000)), sowie Literatur und Experteneinschätzungen. Die potenziell geeignete Fläche wurde anschliessend zu Hektarzellen aggregiert. Im zweiten Schritt haben wir jede Hektarzelle innerhalb der potenziell geeigneten Flächen in vier Kategorien eingeteilt: «Art nachgewiesen», «Art wahrscheinlich», «Art wenig wahrscheinlich» und «Art abwesend». Dafür haben wir neben den systematischen Brutvogelerhebungen auch weitere Beobachtungsdaten aus den Brutsaisons 2013-2024 genutzt, wie Einzelbeobachtungen und vollständige Listen von ornitho.ch sowie Überwachungsprogramme einzelner Arten. Die Klassifizierung «Art nachgewiesen» erfolgte für Zellen mit einem punktgenauen Nachweis der Art zur Brutzeit (Atlascode ≥ 2) und für jene im artspezifischen Radius um die Fundmeldung (160-180 m). «Art abwesend» beschränkt sich auf Zellen, in denen die Art trotz hoher Beobachtungsintensität im Gebiet nicht nachgewiesen wurde. Je höher die Beobachtungsintensität (d.h. je mehr Beobachtungen von allen Arten in der Brutzeit), desto sicherer ist ein effektives Fehlen der Zielart, wenn sie nicht beobachtet wurde. Für die verbliebenen Zellen wurde ein «Random Forest»-Modell trainiert (Breimann 2001), das Vorkommenswahrscheinlichkeiten berechnet und zusätzlich zu den oben genannten Umweltvariablen z.B. auch die Nutzungsintensität des Grünlands berücksichtigt. Diese Vorkommenswahrscheinlichkeiten wurden mithilfe artspezifischer Grenzwerte, die in Konsultation mit Artexpert:innen festgelegt wurden, den zwei Kategorien «Art wahrscheinlich» und «Art wenig wahrscheinlich» zugewiesen. Die Modellqualität wurde durch räumliche Kreuzvalidierung überprüft (Valavi et al. 2018).

 

Abb. 2: Arbeitsablauf zur Erarbeitung der Karten für Einzelarten. Um die Karten zu erstellen, kombinierten wir Beobachtungsdaten mit aktuellen, hochaufgelösten
Umweltdaten. Die Spalten zeigen die Datenquellen (links), Zwischenprodukte (Mitte) und resultierenden Kartenkategorien (rechts). Die Symbole
in den Datenquellen entsprechen den verwendeten Daten der Zwischenschritte.

 

Kombikarte

Basierend auf den fünf Einzelartkarten erstellten wir durch Überlagerung eine kombinierte Karte (Abb. 3). Konkret wurden die Hektaren des gesamten Potenzialgebiets für alle 5 Arten wie folgt kategorisiert: Nachweise für mindestens eine Art (≥ 1 Art nachgewiesen»), wahrscheinliches Vorkommen mindestens einer Art («≥ 1 Art wahrscheinlich») oder potenzielle Eignung für mindestens eine Art («≥ 1 Art potenziell geeignet», d.h. wenig wahrscheinliches Vorkommen oder Abwesenheit mindestens einer Art). Das detaillierte methodische Verfahren wird in einem separaten technischen Bericht beschrieben.

 

Abb. 3: Die Kombikarte ist eine Überlagerung der Einzelartkarten, die Vorkommen und Habitatpotenzial über alle fünf Wiesenbrüterarten auf Hektarbasis darstellt (Foto: Maeva Arnold).

 

Anwendungen

Die nationalen Kartenprodukte bieten räumlich hochaufgelöste Informationen zu fünf Wiesenbrüter-Arten in allen Grünlandvorkommen der Bergzone I-IV und des Sömmerungsgebiets, und erlauben eine schnelle und effiziente Beurteilung des Brutzeitvorkommens und der potenziell geeigneten Wiesen und Weiden. Sie machen allerdings keine Angabe zur Bestandsgrösse (diese ist nur mittels Revierkartierungen möglich). Die Karten helfen Akteuren aus Natur- und Landschaftsschutz bei der Planung von Schutz- und Fördermassnahmen sowie deren Erfolgskontrollen (z.B. im Rahmen von Aktionsplänen oder lokalen Artenförderungsprojekten), in der Raumplanung (z.B. bei der Überarbeitung von Richtplänen, Zonennutzungsplänen oder Grundlagen für die ÖI), der Beurteilung von Zielkonflikten bei Infrastruktur- und Meliorationsprojekten, sowie bei Projekten zur regionalen Förderung der Biodiversität und Landschaftsqualität (BrBL ab 2028, DZV). Folgend stellen wir exemplarisch zwei Anwendungsbeispiele vor.

 

Anwendungsbeispiel 1: Regionale Massnahmen BrBL

Im Rahmen der AP22+ werden Vernetzungsbeitrag und Landschaftsqualitätsbeitrag zum neuen Beitrag für regionale Biodiversität und Landschaftsqualität (BrBL) zusammengeführt. Während der Bund die Rahmenbedingungen für die Erarbeitung der BrBL-Projekte festlegt, liegt die konkrete Erarbeitung der Projekte, die Ausscheidung der Regionen und die Zuordnung geeigneter regionalisierter Massnahmen bei den kantonalen Fachstellen. Die neuen, hochaufgelösten Karten der Vogelwarte unterstützen die Fachstellen in mehreren Projektphasen: von der Initiierung bis hin zur Evaluation, über die Zusammenstellung der regionalen Naturwerte, die Erarbeitung der Zielvorgaben, die Planungsphase und die Umsetzung. Ein wichtiger Verwendungszweck der Karten ist bei der Erarbeitung von regional-spezifischen Massnahmen. Hier können die Karten hilfreich sein, indem räumlich verortet werden kann, in welchen Gebieten besonders grosses Konfliktpotenzial besteht zwischen landwirtschaftlicher Nutzung (z.B. früher Mahd) und Wiesenbrütern, respektive wo Massnahmen zum Schutz von Wiesenbrütern und deren finanzielle Abgeltung am effizientesten und effektivsten umgesetzt werden können. Massnahmen können sich an den Handlungsempfehlungen der Begleitdokumentation orientieren, die zusammen mit den Karten online kostenlos zugänglich ist (zum Beispiel Maßnahmen zur Abgeltung für Spätschnitt).

 

Anwendungsbeispiel 2: Beurteilung von Infrastrukturprojekten

Bei Infrastrukturprojekten müssen meist kurz- und langfristige Auswirkungen auf die Umwelt beurteilt werden. Treten kurzfristige Auswirkungen auf (im Sinne von Jagdgesetz (JSG) und Heimatschutzgesetz (NHG) relevant), können beispielsweise Auflagen gemacht werden, die Bauarbeiten außerhalb der Brutzeit durchzuführen. Langfristige Auswirkungen betreffen vor allem Projekte, die wertvolle Lebensräume auf grösserer Fläche beeinflussen können (im Sinne von NHG relevant), beispielsweise bei Erschliessungsstrassen oder Meliorationsprojekten. Die vorgestellten Kartenprodukte (vor allem die Kombikarte) erleichtern Fachstellen die Beurteilung solcher Projekte, da z.B. in Gebieten der Kategorie «≥ 1 Art nachgewiesen» keine Suche nach Daten zu sensiblen Arten nötig ist. In Gebieten der Kategorien «≥ 1 Art wahrscheinlich» sollten Felderhebungen stattfinden. Dies kann die Effizienz der Bewilligungsverfahren erhöhen, indem der Aufwand zur vertieften Abklärung über das Vorkommen der Wiesenbrüter deutlich reduziert werden kann. Einerseits beschleunigt dies das Verfahren aufseiten des Kantons, andererseits reduzieren sich, durch den geringeren Zeitaufwand auch die Kosten für die Umweltbaubegleitung für den Gesuchsteller. Damit wird sichergestellt, dass sensible Gebiete besser geschützt werden.

 

Verfügbarkeit

Die hier vorgestellten Karten sind ab März 2025 online und kostenlos auf dem Web-GIS Portal der Schweizerischen Vogelwarte als WMS abrufbar (s. Link und QR-Code unten). Ergänzend ist gleichenorts eine Begleitdokumentation mit Handlungsempfehlungen verfügbar. Die Karten werden periodisch aktualisiert werden, um neue Erkenntnisse zeitnah abzubilden. Im Sommer 2025 wird eine öffentliche online- Schulung durch die Vogelwarte durchgeführt (zweisprachig). Interessierte Personen können sich bei der nachfolgenden E-Mail-Adresse melden.

 

Kontakt

grasslandbirdmaps@vogelwarte.ch
https://webgis.vogelwarte.ch/projects/grassland-birds