Einblick in die Strategie «Förderung Bildung Artenkenntnisse»

CHRISTINE GUBSER

Mit einem gewissen Stolz präsentiert Ihnen die Begleitgruppe als kleinen Vorgeschmack hier die Strategie «Förderung Bildung Artenkenntnisse», die wir in den letzten zwei Jahren mit zahlreichen weiteren Partnern erarbeitet haben. Mit der Strategie soll die Entwicklung, dass die Kenntnisse in Systematik und Taxonomie in der Schweiz zu verschwinden drohen, gestoppt werden. Sie soll der Ausgangspunkt sein, Bemühungen im Bereich der Bildung zu fördern und langfristig genügend Artenspezialisten und -expertinnen zu generieren. Letztlich mit dem Ziel, die notwendigen Massnahmen für den Erhalt unserer Biodiversität in der Schweiz ergreifen zu können.

Ziel
Die Strategie «Förderung Bildung Artenkenntnisse» möchte erreichen, dass die Aktivitäten im Bereich Bildung in Biodiversität und Taxonomie aufeinander abgestimmt sind und dadurch mehr Wirkung entfalten können. Das bedeutet, dass in einem ersten Schritt sämtliche Akteure vom privaten Kursanbieter über die Fachhochschule bis zu Naturmuseen in Kontakt gebracht werden sollen. Die Idee dahinter ist, dass dadurch die ­Angebote für den Kompetenzerwerb (Studiengänge, Kurse, Praktika) besser aufeinander abgestimmt werden können ­bezüglich Inhalt (z.B. bearbeiteten Organismengruppen) und auch in Bezug auf die Kompetenzstufen. Weil dauerhaft ein Angebot an Kursen und ergänzendes Mentoring zur Verfügung steht, wird es Interessierten vereinfacht, individuell bis zur Stufe der Expertise zu gelangen. Nebst der Weitergabe und Entwicklung der Wissensressourcen über Bildung und Austausch gilt es auch das vorhandene Wissen zu bewahren und zugänglich zu machen. Schriftlichem Wissen wie Bestimmungsschlüssel oder Methodenbeschriebe werde verifiziert und zur Verfügung gestellt. Zusätzlich braucht es den Überblick, bei welchen Personen welche Kenntnisse und Fertigkeiten vorhanden sind.

Entstehung
Doch zuerst ein Blick zurück: Erarbeitet wurde die Strategie vom Bundesamt für Umwelt BAFU, den Fachhochschulen Haute école du paysage, d’ingénierie et d’architecture de Genève hepia und Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW, den Datenzentren (InfoSpecies, Schweizerisches Informationszentrum für Arten) sowie der Swiss Systematics Society SSS. Ausgangspunkt der Arbeiten war die prekäre Situation bezüglich spezialisierten Artenkenntnissen in der Schweiz. Verschiedene Vorstudien und im Rahmen des Projekts geführte Interviews bestätigten das Bild, ­welches die SCNAT in ihrem Positionspapier zur Zukunft der Systematik in der Schweiz bereits 2006 gezeichnet hatte: Es fehlen für viele Organismengruppen der Schweiz Spezialisten und Expertinnen. An den Universitäten werden kaum Studiengänge zu Systematik und organismischer Biologie angeboten. Der Unterricht auf Grundschulstufe thematisiert das Ansprechen von Arten nach Einschätzung der Befragten zu wenig. Gehen wir vom Kompetenzstufenmodell der SSS aus (Abb. 1), hat der Mangel an spezialisierten Fachleuten seinen Ursprung auf der untersten Stufe – dort, wo die Menschen ihre Freude an der Natur entdecken und sich dann in die Kenntnisse von Arten oder Lebensräumen vertiefen. Es braucht einen breiten Sockel mit vielen Personen, die sich interessieren und gewisse Basiskenntnisse zu Ökologie und Arten haben. Denn die Pyramidenform des Modells impliziert, dass nur ein gewisser Teil dieser Personen ihr Wissen vertieft, sich intensiver mit ausgewählten Organismengruppen beschäftigt und somit der nächsthöheren Stufe zugerechnet werden. In der Konsequenz sind an der Spitze nur wenige Expertinnen und Experten. Die Strategie integriert daher alle Stufen, legt den Fokus aber klar auf die Sicherung einer ausreichenden Anzahl Spezialistinnen und Experten. Im regelmässigen Austausch hat die Begleitgruppe die nun fast fertige Strategie entwickelt. Dabei wurde immer wieder der Austausch mit weiteren Akteuren aus dem Umfeld gesucht, um ein möglichst breit abgestimmtes Papier zu haben. Bereits bestehende Strategien wie die Strategie Biodiversität Schweiz und der Aktionsplan wurden berücksichtigt. Aktuell ist die Strategie in der Finalisierung und soll Ende Jahr deutsch und französisch vorliegen.

Abb.1: Pyramidenmodell der Swiss Systematics Society SSS mit fünf Kompetenzstufen.

Umsetzung der Ziele
Die Strategie umfasst fünf strategische Ziele. Wir erläutern, welche Idee hinter jedem Ziel steckt und zeigen, wie wir dahin gelangen möchten.

  • Ziel 1 – Die Artenkenntnisse stehen dauerhaft zur Verfügung. Der Fokus liegt auf den in der Schweiz vorkommenden Organismengruppen.
    Das Hauptanliegen ist, dass Artenkenntnisse in der Schweiz auf allen Kompetenzstufen (Sensibilisierung bis Expertise) und für alle Organismengruppen verfügbar sind. Im Bewusstsein, dass nicht ausreichend Mittel zur Verfügung stehen, um den gesamten Bedarf an Massnahmen abzudecken, soll nach Kriterien wie Dringlichkeit oder Opportunität die Priorität auf ausgewählte Organismengruppen gesetzt werden können. Akteure wie Universitäten, Naturhistorische Museen und Botanische Gärten aber auch Fachgesellschaften, private Anbieter und die Datenzentren berücksichtigen die Strategie in ihren Entscheiden. Insbesondere sollen die Angebote zu Bildung und Wissenstransfer (bezüglich Inhalt, Kompetenzstufe oder Durchführungsfrequenz) aufeinander abgestimmt werden. Interessierte sollen damit möglichst uneingeschränkt eine individuelle Kompetenzkarriere angehen können. Eine zentrale Rolle kommt der Ausbildung des Lehrpersonals der Grund- und Mittelstufe zu, um bereits frühzeitig Kinder und Jugendliche zu sensibilisieren und deren Neugier für die Thematik zu wecken.
  • Ziel 2 – Nicht erschlossene oder nicht frei zugängliche Wissensressourcen sind identifiziert, verifiziert und soweit möglich nutzbar gemacht.
    Wissensressourcen umfassen nebst dem Know-How der Personen auch schriftliches Wissen. Dieses, d.h. beispielsweise unveröffentlichte Studien, Artbeschreibungen, Bestimmungsschlüssel oder Methodenbeschriebe, soll validiert und zur Verfügung gestellt werden. Validierte Daten aus Studien (z.B. aus Erhebungen im Rahmen einer Bachelorarbeit) sollen vermehrt in die Datenbanken eingespeist werden. Auch hier besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit. Die Datenzentren übernehmen die Aufgabe, die Artenporträts, Verbreitungskarten u.ä. bereitzustellen und aktuell zu halten. Mit dieser Zugänglichkeit soll der Transfer und das Aneignen von Wissen vereinfacht werden.
  • Ziel 3 – Die Rahmenbedingungen (Aus- und Weiterbildung, Anwendungsmöglichkeiten etc.) ermutigen neue Personen, Artenkenntnisse aufzubauen.
    Um den interessierten Personen sowie Auftraggebern die Orientierung bezüglich Kompetenzen zu erleichtern, schlägt die Strategie vor, die Kompetenzstufen der SSS als Referenzmodell zu nehmen. Einerseits richtet sich die Einstufung der Weiterbildungsniveaus danach aus, andererseits werden den Stufen entsprechend Zertifizierungsprüfungen angeboten, um die hinreichende Kompetenz einer Fachperson zu belegen. Für gewisse Organismengruppen sind die Definitionen der einzelnen Kompetenzstufen in Erarbeitung oder liegen bereits vor. InfoSpecies übernimmt hierin die Rolle als Drehscheibe. Da weder das Wissen zu sämtlichen Organismengruppen noch das Know-How in allen Kompetenzstufen über Kurse weitergegeben werden können, beabsichtigt die Strategie zusätzlich mit Mentoren und Mentorinnen zu arbeiten. Das bedeutet, dass Spezialistinnen und Experten sich zur Verfügung stellen, ihr Wissen und ihr Know-How gezielt weiterzugeben. Über ein etabliertes Netzwerk werden die Kontakte zwischen ­Mentor und Mentee ermöglicht. Welche genauen Abmachungen dann getroffen werden, ist Sache der beteiligten Parteien.
  • Ziel 4 – Fachleute sind in ein Netzwerk eingebunden, stellen ihre Kompetenzen zur Verfügung und stehen in periodischem Austausch.
    Ein Netzwerk der Artenkennerinnen und Artenkenner erleichtert den Austausch von Wissen und das gegenseitige Lernen. Der periodische Austausch erfolgt über Veranstaltungen, welche zentral durch eine Geschäftsstelle organisiert werden sowie themenspezifisch beispielsweise über die Fachgesellschaften. Zusätzlich soll eine eine breit zugängliche, virtuelle Plattform etabliert werden. Um den Bedarf an Fachleuten verfolgen zu können, werden Spezialistinnen und Experten eingeladen, sich zentral zu registrieren. Eine Geschäftsstelle koordiniert die beschriebenen Massnahmen, pflegt das Netzwerk und kommuniziert die Tätigkeiten nach aussen.
  • Ziel 5 – Die Bemühungen für Erhalt, Teilen und Erwerben des Wissens und der Kompetenzen sind koordiniert ebenso wie die Kommunikation der Bedeutung dieser Bemühungen.
    So wie bisher eine Begleitgruppe für die Erarbeitung der Strategie zuständig war, soll eine breit aufgestellte Trägerschaft die Umsetzung der Strategie begleiten. Die wichtigsten beteiligten Institutionen sind vertreten. Das Gremium fällt strategische Entscheide und stellt eine langfristige Finanzierung der Massnahmen sicher. Ein Lenkungsausschuss innerhalb der Trägerschaft übernimmt die eher operativen Aufgaben zuhanden der Trägerschaft. Er behält die Erreichung der Ziele im Auge und regt sofern nötig neue Massnahmen an.

 

Abb. 2: Lungenflechte Lobaria pulmonaria als Vertreterin einer bei Fachleuten eher untervertretenen Organismengruppe (Bild: Jason Hollinger auf Wikimedia Commons)
Abb. 3: Haubenmeise als Vertreterin einer bei Fachleuten beliebten Organismengruppe (Bild: Erich Wirz auf Pixabay).

Fazit
Damit die Strategie nicht ein weiteres Papier bleibt, braucht es ein tragendes Netzwerk mit vielen Akteuren und Partnern, die sie unterstützen und an der Umsetzung interessiert sind. Wir laden Sie, liebe Leserin, lieber Leser, deshalb ein mitzuwirken. Der erste Schritt wird sein, das Netzwerk aufzubauen und den Austausch zu ermöglichen. Durch die breite Abstützung erhält das Thema mehr Gewicht und die Anliegen der einzelnen werden gestärkt. Erster Ansprechpartner ist die Geschäftsstelle InfoSpecies. Wir freuen uns, wenn Sie mit dabei sind bei der Förderung Bildung Artenkenntnisse.

Kontakt
Christine Gubser
sanu future learning ag
E-Mail: cgubser@sanu.ch