Ressourcenprojekt Ackerbegleitflora – erfolgreiche Förderung der bunten Vielfalt auf unseren Äckern

Die Ackerbegleitflora hat sich im Zuge der intensivierten Landwirtschaft in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Zahlreiche der früher weit verbreiteten und häufigen Pflanzenarten sind heute stark gefährdet, einige kommen in der Schweiz nicht mehr wildwachsend vor. Seit 2012 nimmt sich erstmals ein Förderprojekt kantonsübergreifend der bedrohten Ackerflora samt den Ackermoosen an. Acht Kantone haben sich zum Ziel gesetzt, die wertvollsten Vorkommen mit ursprünglicher Flora zu sichern und zu stärken.

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Bedrohte Vielfalt

Fünfzehn Jahre Erfahrung mit dem ökologischen Ausgleich im Landwirtschaftsgebiet haben es deutlich gemacht: Die bisherigen Massnahmen reichen nicht aus, um die gefährdete Ackerbegleitflora zu erhalten. Ackerschonstreifen werde von den Landwirten kaum angelegt und zeigen zudem nicht die erhoffte Wirkung. Und die Buntbrache bringt die gefährdeten Arten nur bei steter Einsaat und nur vorübergehend in unsere Kulturlandschaft zurück. Aus diesem Grund haben 2012 die Kantone Aargau, Basel-Landschaft, Genf, Graubünden, Luzern, Waadt, Wallis und Zürich zusammen ein Projekt lanciert, um ihre Hotspots der Ackerflora zu sichern und Gebiete mit Potenzial zu fördern. Erklärtes Ziel ist es, die Ackerbegleitflora auf total 135 ha Ackerfläche zu sichern oder zu reaktivieren. Dadurch sollen mindestens 60 der für Äcker typischen Ziel- und Leitarten einen dauerhaften Lebensraum erhalten. Welche Arten dies sind, ist in den Umweltzielen Landwirtschaft der beiden Bundesämter BAFU und BLW festgelegt. Die für das Projekt notwendigen Massnahmen finanziert – mit Beteiligung der Kantone – das Bundesamt für Landwirtschaft BLW im Rahmen eines sogenannten Ressourcenprojekts nach Artikel 77a Landwirtschaftsgesetz.

 

Abb. 1: Roggenäcker im Projektgebiet Chermignon VS, einem der grössten und wertvollsten im Projekt (Foto: Stefan Birrer).
Abb. 1: Roggenäcker im Projektgebiet Chermignon VS, einem der grössten und wertvollsten im Projekt (Foto: Stefan Birrer).

Abb. 2: Der vom Aussterben bedrohte Ysopblättrige Weiderich ist eine der grössten Kostbarkeit des Projekts. Er blüht nach der Ernte im Stoppelacker noch bis weit in den Herbst (Foto T. Stalling).
Abb. 2: Der vom Aussterben bedrohte Ysopblättrige Weiderich ist eine der grössten Kostbarkeit des Projekts. Er blüht nach der Ernte im Stoppelacker noch bis weit in den Herbst (Foto T. Stalling).

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Die Samenbank reaktivieren

Zu den Projektgebieten gehören einerseits bekannte Hotspots der Ackerbegleitflora wie zum Beispiel Chermignon oder Leuk (Brentjong) im Wallis. Andererseits soll auch auf den eher eintönig und farblos erscheinenden Äckern des Mittellands das vorhandene Potential wieder geweckt werden. Auch hier – und nicht nur in den Alpentälern – liegen noch Restbestände und Samen seltener Arten verborgen. Da die Samen zahlreicher Ackerbegleiter über mehrere Jahrzehnte keimfähig bleiben, kann damit gerechnet werden, dass auch Arten wieder auftauchen, die bereits als verschollen galten. Um die Gebiete und Äcker mit besonders guten Voraussetzungen für eine Reaktivierung zu eruieren, wurden die Daten von Info Flora beigezogen und regionale Experten befragt. Als viel versprechend galten vor allem Flächen, die bis vor
einigen Jahren noch Einzelpflanzen seltener Arten aufwiesen oder wo ein grosser Bestand sogenannter Leitarten darauf hinwies, dass sich in der Samenbank noch exklusivere Arten befinden könnten. Als wichtige Leitarten dienten etwa das Eiblättrige Schlangenmaul (Kickxia spuria), das Sumpf-Ruhrkraut (Gnaphalium uliginosum) und sogar der gewöhnliche Klatsch-Mohn (Papaver rhoeas).

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Engagement auf 50 Betrieben

Derzeit beteiligen sich 50 Landwirtschaftsbetriebe in 29 Gebieten am Projekt. Sie produzieren neben Nahrungs- und Futtermitteln auch eine wertvolle Ackerflora. Auf total rund 70 ha Ackerland werden die Ackerbegleitkräuter und Ackermoose mit acht Massnahmen gefördert, die den Zielarten mehr Platz und mehr Licht innerhalb der landwirtschaftlichen Kulturen zugestehen (siehe Kasten). Dass die Akzeptanz des Projekts und der Massnahmen bei den Landwirten so hoch ist, ist erfreulich.

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Erfolgsfaktoren

Die folgenden Faktoren dürften zu diesem Erfolg beigetragen haben:

  1. Faire Entschädigung: Die Entschädigung der Landwirte gilt den erhöhten Arbeitsaufwandes und den Minderertrag ab. Sie richtet sich nach der Flächengrösse, der Kultur und danach, ob auf die Düngung ganz oder teilweise verzichtet wird. Damit auch für kleine Flächen, v.a. im Bergebiet, ausreichend Anreiz für einen Vertragsabschluss besteht, liegt hier die Pauschale für die allgemeinen Umtriebe höher.
  2. Artenförderung auf der Produktionsfläche: Die Ackerbegleitflora wird in Anlehnung an den traditionellen Ackerbau in den Getreidekulturen selber gefördert. Auf diese Weise fällt anders als bei Buntbrachen trotz Extensivierung ein namhafter Ertrag an. Dieses Nebeneinander von Produktion und Artenförderung wird von vielen Landwirten begrüsst.
  3. Praxistaugliche Massnahmen: Mit wirksamen Massnahmen blieben Problem-Unkräuter wie Acker-Kratzdistel, Winde & Co. bisher unter Kontrolle. Dazu gehören Fruchtfolgen, welche in den Zwischenjahren auch Kunstwiese ermöglichen, das obligatorische Pflügen sowie – im Notfall und in Absprache mit den zuständigen Beratungskräften – auch der Einsatz von Herbiziden auf Teilflächen.
  4. Begleitung durch regionale Beratungskräfte: Engagierte und kompetente Fachleute aus der Landwirtschaft und dem Naturschutz in den Kantonen sind entscheidend, um Landwirte für das Projekt zu motivieren. Sie stehen diesen während der ganzen Vertragsperiode beratend zur Seite. Bei Problemen, z.B. mit Unkräutern, sorgen sie dafür, dass die Landwirte rasch und pragmatisch reagieren können.

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Schöne Erfolge

Die bisherige Bilanz des Projekts fällt sehr positiv aus. Schon in den ersten Jahren gedieh auf den meisten Projektflächen eine vielfältige Ackerflora. Und wie erhofft kamen auch Seltenheiten zum Vorschein, mit denen kaum mehr zu rechnen war, beispielsweise der Kleinling (Anagallis minima) und der Ysopblättrige Weiderich (Lythrum hyssopifolia) bei Reinach BL, der Gefurchte Ackersalat (Valerianella rimosa) bei Dagmersellen LU oder der Frühe Rote Zahntrost (Odontites vernus) im Zürcher Weinland. Diese spektakulären Wiederfunde belegen eindrücklich, dass es tatsächlich gelingt, die im Boden schlummernden Samenvorräte zu reaktivieren. Das Auswahlverfahren für die Projektflächen und die umgesetzten Massnahmen haben sich als geeignet erwiesen. Selbst in den Projektgebieten im Wallis, wo auf den meisten Flächen bereits bei Projektstart zahlreiche Zielarten vorkamen, konnten später noch zusätzliche Arten registriert werden, etwa die Kugelfrüchtige Binse (Juncus sphaerocarpus) bei Chermignon. Sie wurde an einer nassen Ackerstelle in einem Bestand von rund Tausend Exemplaren entdeckt. Diese typische Art der Zwergbinsen-Annuellenflur kommt in der Schweiz nur äusserst selten und beschränkt auf das Unterwallis vor.

Abb. 3: Die gefährdete Acker-Lichtnelke ist eine unauffällige Art. Sie blüht nur nachts und an trüben Tagen und bleibt oft kleinwüchsig (Foto: T. Stalling).
Abb. 3: Die gefährdete Acker-Lichtnelke ist eine unauffällige Art. Sie blüht nur nachts und an trüben Tagen und bleibt oft kleinwüchsig (Foto: T. Stalling).

Abb. 4: Der Acker-Rittersporn ist einer der prächtigsten Ackerbegleiter. Er wird im Projekt in sechs Gebieten im Wallis gefördert (Foto: T. Stalling).
Abb. 4: Der Acker-Rittersporn ist einer der prächtigsten Ackerbegleiter. Er wird im Projekt in sechs Gebieten im Wallis gefördert (Foto: T. Stalling).

 

Noch nicht ganz am Ziel

Derzeit sieht alles danach aus, dass die ehrgeizig gesteckten Ziele überwiegend erreicht werden können. Doch gibt es auch Wermutstropfen. So gelang es im Kanton Genf bisher noch nicht, Landwirte für Vertragsflächen zu gewinnen. Wichtige Arten wie zum Beispiel das Pyramiden-Filzkraut (Filago pyramidata) oder der Acker-Ziest (Stachys arvensis) konnten deshalb im Projekt noch nicht gefördert werden. Auch ausgestorbene Arten, bei denen die Hoffnung auf Rückkehr unterdessen aufgegeben werden muss, sind zu erwähnen. Dies trifft zum Beispiel auf die Getreidemiere (Spergularia segetalis) oder den Gefiederten Bauernsenf (Iberis pinnata) zu.

 

Beispiele Projektgebiete

Reinach BL

Dieses Gebiet im Sundgauer Hügelland (Bruderholz) gehört zu den wertvollsten im ganzen Projekt. Grund dafür sind die Vorkommen seltener Arten der Zwergbinsen-Annuellenflur (Nanocyperion). Auf den schweren, wechselfeuchten Lösslehm-Böden können nach der Ernte des Getreides an offenen Stellen Raritäten wie der Kleinling (Anagallis minima), der Ysopblättrige Weiderich (Lythrum hyssopifolia), das Acker-Gipskraut (Gypsophila muralis) und das Kleine Tausendgüldenkraut (Centaurium pulchellum) beobachtet werden. Der Ysopblättrige Weiderich war im besten Jahr mit mehreren Tausend Exemplaren vertreten!

Rafzerfeld und Weinland ZH

In diesen beiden Gebieten sind in den letzten Jahren auf insgesamt 7 Teilflächen überraschend viele Besonderheiten aufgetaucht. Auf einem der Äcker im Rafzerfeld bei Hüntwangen wachsen unter anderem die Acker-Lichtnelke (Silene noctiflora) und das nördlich der Alpen sehr seltene Falsche Kletten-Labkraut (Galium spurium). Auf 6 Flächen im Weinland finden sich seltene Arten wie der Acker-Steinsame (Buglossoides arvensis), der Frühe Zahntrost (Odontites vernus), der Einjährige Ziest (Stachys annua) und der Gezähnte Ackersalat (Valerianella dentata). Alle diese Arten kommen nur noch in geringer Anzahl vor. Das Projekt bietet nun die Chance, die letzten verbliebenen Vorkommen zu sichern und grössere Bestände aufzubauen.

Ausserberg VS

Der kleinflächige Roggenacker liegt oberhalb des Dorfs inmitten der Felsensteppe. Es handelt sich um einen alten Ackerstandort, der vier Jahrzehnte brach lag und auf dem erst vor zwei Jahren erstmals wieder Getreide ausgesät wurde. Die Reaktivierung der Samenbank ist ein voller Erfolg. Innerhalb der ersten beiden Vertragsjahre erschienen mehrere Zielarten wieder auf der Fläche, wenn auch teilweise erst in geringem Bestand. Im Moment beherbergt der Acker 9 Ziel- und 4 Leitarten, darunter das Sommer-Adonisröschen (Adonis aestivalis), das Ackernüsschen (Neslia paniculata) und der Sand-Mohn (Papaver argemone).

 

Fazit

Um Äcker mit wertvoller Begleitflora langfristig zu sichern ist es sinnvoll, sie in die Biodiversitätsförderung gemäss Direktzahlungsverordnung zu integrieren. Derzeit sucht die Projektträgerschaft zusammen mit dem Bundesamt für Landwirtschaft intensiv nach einer fachlich und finanziell geeigneten Lösung. Gelingt dies, werden in der Schweiz auch in Zukunft vielerorts seltene Ackerbegleiter in ihrem angestammten Lebensraum zu bewundern sein.

 

Stefan Birrer, Verena Doppler, Thomas Stalling, Annelies Uebersax, Sibyl Rometsch

Kontakt:
Verena Doppler,
Agrofutura AG, Stahlrain 4, 5200 Brugg,
doppler@agrofutura.ch; 056 500 10 72