Amphibien und Autobahnen: Eine Trennungsgeschichte?

Dank der Kombination von Landschaftsanalysen und genetischen Untersuchungen lässt sich der Effekt von Landschaftselementen auf die räumliche Vernetzung von Wildtier-Populationen erfassen. Autobahnen stehen dabei unter Generalverdacht, Tieren den Weg auf die andere Seite zu versperren. Eine kürzlich abgeschlossene Studie zeigt jedoch teils unerwartete Resultate.

Es ist oft ein hohes Risiko, wenn Amphibien eine Strasse überqueren wollen. Dass sie dies tun, hat mit ihrem saisonalen Wanderungsverhalten zu tun, wenn sie also im Frühling zu einem Laichplatz gelangen wollen oder vom Sommer- ins Winterquartier übersiedeln. Andererseits kann eine hohe Populationsdichte wegen innerartlicher Konkurrenz Grund dafür sein, dass Individuen abwandern, um in ein anderes Habitat zu gelangen. Letzteres führt dann zu Genfluss, wenn die abgewanderten Individuen sich in einer anderen Population erfolgreich fortpflanzen. Dieser Genfluss kann mit molekular-genetischen Methoden geschätzt werden und beschreibt, wie viel Austausch zwischen Populationen vorhanden ist. Stellt man den Genfluss in Bezug zur umgebenden Landschaft, so lassen sich die Landschaftselemente bestimmen, die fördernd oder hemmend auf den Genfluss wirken: dies nennt man eine landschaftsgenetische Analyse (Bolliger et al. 2013).

Autobahnen als Amphibiensperren?

Das vom ETH-Bereich finanziell unterstützte Projekt GeneMig führte zwei umfangreiche landschaftsgenetische Studien durch, um anwendungsrelevante Erkenntnisse im Hinblick auf räumliche Vernetzungsmassnahmen zu gewinnen. Im transdisziplinären Dialog mit Stakeholdern aus der Verwaltung, privaten Beratungsbüros und anderen Institutionen wurden mögliche Fragestellungen für eine wissenschaftliche Untersuchung erarbeitet und anschliessend vom Projektteam weiterentwickelt (Bolliger et al. 2015). Konkret ging es darum, entlang verschiedener Autobahnabschnitte die Wirkung von Autobahnen, grösseren Strassen und weiteren Landschaftselementen auf den genetischen Austausch bei Amphibienarten zu erfassen. Als Studienobjekte dienten der Wasserfrosch-Komplex (Pelophylax spp.) als zerstreut vorkommende Amphibien-Gruppe und der häufige und weit verbreitete Bergmolch (Ichthyosaura alpestris). Die Untersuchungsgebiete wurden entlang Autobahnabschnitten der A1 im Kanton Aargau, der A4 im Zürcher Unterland und für die Bergmolche zusätzlich der A1 im Bereich bei Aadorf (TG) ausgewählt (Abb. 1). Die Annahme war, dass Populationen, die seit 40 bis 50 Jahren durch eine Autobahn voneinander getrennt sind, grössere genetische Unterschiede aufweisen als Populationen auf der gleichen Seite der Autobahn; dies aufgrund der Barrierewirkung und dem daraus folgenden reduzierten Genfluss.

Abb. 1: Untersuchungsgebiete beidseits von Autobahnabschnitten im Schweizer Mittelland (von links nach rechts): A1 bei Aarau, A4 bei Andelfingen und A1 bei Aadorf.

Den Amphibien ins Maul geschaut

Nebst der landschaftlichen Charakterisierung der Untersuchungsgebiete mit detaillierten Geodaten müssen für eine landschaftsgenetische Studie die jeweiligen Tier- oder Pflanzenvorkommen zur Bestimmung des Genflusses beprobt werden. Zusammen mit der Koordinationsstelle für Amphibien- und Reptilienschutz in der Schweiz (karch) wurden Vorkommen der Wasserfrösche und des Bergmolchs im Umfeld der genannten Autobahnabschnitte ausgewählt. Die Beprobung musste von lokalen Behörden und kantonalen Fachstellen sowie den Besitzern der ausgewählten Teiche bewilligt werden. Wichtig war auch die Tierschutzgesetz-konforme Beprobung, die von den zuständigen kantonalen Veterinärämtern genehmigt sein musste und eine entsprechende Ausbildung der Feldteams erforderte.

Die eigentliche Beprobung fand abends und nachts statt. Die Tiere wurden lokalisiert und mit einem Kescher eingefangen, um mithilfe eines Wattestabs einen Mundabstrich zu nehmen (Abb. 2). Aus diesem liess sich danach im Labor die DNA aus den Zellen der Mundschleimhaut gewinnen und analysieren. Nach der Beprobung wurden alle Tiere wieder vor Ort freigelassen. Insgesamt gingen in 22 Teichen im Kanton Aargau 453Wasserfrösche ins Netz (91 Kleine Wasserfrösche; 306 hybride Teichfrösche, darunter auch tri- und tetraploide; 56 Seefrösche). Im Kanton Zürich wurden 372 Wasserfrösche beprobt (71 Kleine Wasserfrösche; 289 hybride Teichfrösche; 12 Seefrösche). Die Zahlen im Zürcher Untersuchungsgebiet waren etwas kleiner, weil dort erst gegen Ende der Brutsaison beprobt werden konnte. Diagnostische molekulare Marker, mit denen das Genom des Kleinen Wasserfroschs von dem des Seefroschs unterschieden werden kann, ermöglichten die Artzuordnung jedes Individuums sowie die Bestimmung von Hybriden. Bei den Bergmolchen konnten im Ganzen 1299 Tiere an 102 Orten beprobt werden.

Abb. 2: Mundabstrich beim Bergmolch für nachfolgende genetische Analyse (Foto: S. Brodbeck).

Unterschiedliche Wirkung von Autobahnen auf Genfluss

Eine erste Erkenntnis aus den genetischen Daten der Wasserfrösche war das unterschiedliche räumliche Vorkommen der drei Arten: Der als invasiv geltende Seefrosch trat in den beprobten Gebieten bevorzugt entlang grosser Fliessgewässer, hauptsächlich der Aare, auf. Umgekehrt war es erfreulich zu sehen, dass vielerorts noch keine Seefrösche gefangen wurden. Erstaunlich war hingegen, dass in beiden Untersuchungsgebieten nur ein geringer oder kein Effekt von Strassen und Autobahnen auf den genetischen Austausch zwischen Wasserfrosch-Populationen ausgemacht werden konnte. Vielmehr erwiesen sich die räumliche Anordnung der Populationen, der Anteil der Landwirtschaftsfläche oder die geographische Distanz zwischen den Standorten, aber auch das Körpergewicht der Frösche als wichtige erklärende Faktoren für das Mass des Genflusses. Dabei muss nochmals darauf hingewiesen werden, dass Genfluss das Resultat erfolgreicher Paarungen zwischen Tieren aus verschiedenen Populationen darstellt und nicht mit der saisonalen Wanderung der Frösche zwischen Winterhabitat, Brut- und Laichgebiet sowie Sommerlebensraum verwechselt werden darf. Diesbezüglich bleiben Strassen und andere landschaftliche Hindernisse, die hier nicht untersucht wurden, schwerwiegende Barrieren für Amphibien.

Ähnlich wie bei den Wasserfröschen liess sich auch bei den Bergmolchen kein namhafter Einfluss der Autobahnen auf den Genfluss erkennen. Zwar zeigte sich im Aargauer Untersuchungsgebiet ein genetischer Gradient von Nord nach Süd, jedoch kein deutlicher genetischer Unterschied, der sich einem bestimmten Landschaftselement zuordnen liesse (Abb. 3): Weder die Aare noch die Autobahn scheinen den Austausch zwischen Bergmolch-Vorkommen massgeblich zu behindern. Für dieses Ergebnis gibt es verschiedene Erklärungen: Es kann sein, dass die zahlreichen, weit verbreiteten und bezüglich ihren Habitaten eher anspruchslosen Bergmolche eine allfällige Barrierewirkung noch nicht in ihrer genetischen Zusammensetzung erkennen lassen. Oder die Landschaft lässt trotz allem noch ausreichend Genfluss bei dieser Art zu. Direkte Beobachtungen zum Wanderungsverhalten der Tiere könnten dazu aufschlussreich sein.

Abb. 3: Anteilsmässige Zuordnung der Bergmolch-Vorkommen im Aargauer Untersuchungsgebiet zu zwei genetischen Gruppen (Kreisgrösse entspricht lokaler Strichprobenzahl).

Fazit

Am Beispiel der untersuchten Amphibien-Gruppen zeigt sich, dass die Wahrnehmung einer Landschaft und ihrer Wirkung auf Genfluss nicht in allen Fällen der menschlichen Perspektive entspricht. Umfassende Analysen unter Einbezug vieler Landschaftsfaktoren, aber auch demographischer Parameter, zeichnen ein stärker differenziertes Bild und lassen die vielseitigen Wechselwirkungen unterschiedlicher Faktoren erahnen. Damit sei aber nicht entwarnt — menschliche Aktivitäten in der Landschaft beeinflussen in jedem Fall das Ausbreitungsverhalten der Tiere, und der zunehmenden Landschaftszerschneidung muss unbedingt und weiterhin auf vielfältige Art entgegengewirkt werden. Aufgrund der Erkenntnisse aus den vorgestellten Amphibien-Studien steht wohl im Vordergrund, das Netzwerk von Laichplätzen zu verdichten, indem neue Teiche angelegt werden. Dies wirkt sich mittelfristig auch positiv auf die Populationsgrössen aus, welche wiederum als Puffer wirken gegenüber demographischen Effekten oder auch genetischer Drift.

Anstrengungen zur Vernetzung der Landschaft durch ökologische Korridore können aber auch negative Seiten haben: Sie erleichtern invasiven oder sonst unerwünschten Arten das Fortkommen ebenso wie den Zielarten solcher Massnahmen. Es ist somit zu erwarten, dass Fördermassnahmen auch dem Seefrosch die Ausbreitung erleichtern werden. Dies muss durch anderweitige Eingriffe verhindert werden, wenn es darum gehen soll, den Wasserfrosch-Komplex zu erhalten.

Dank

Das Forschungsprojekt GeneMig wurde durch das Kompetenzzentrum für Umwelt und Nachhaltigkeit (CCES-ETH) finanziert. Dank für die vielfältige Unterstützung gebührt auch der karch, den Teilnehmer/innen der Stakeholder-Workshops, den zuständigen Fachstellen und den Feldmitarbeiter/innen.

Felix Gugerli, Andrea Vaupel, Thomas Ellenbroek, Dorena Nagel, Roxane Muller, Hirzi Luqman, Sabine Brodbeck, Janine Bolliger

Kontakt
Felix Gugerli,
Eidg. Forschungsanstalt WSL, Zürcherstrasse 111, 8903 Birmensdorf
Tel. 044 739 25 90, Email felix.gugerli@wsl.ch

Literatur

Bolliger J, Junge X, Vaupel A, Gugerli F 2013. Wissenschaft und Praxis im Dialog über Landschaftsgenetik. N&L Inside 1/13: 16–19.

Bolliger J, Junge X, Wülser G, Pohl C, Vaupel A, Gugerli F, Teilnehmende der GeneMig Workshops 2015. Herausforderungen und Chancen in der Zusammenarbeit Praxis–Wissenschaft — ein Erfahrungsbericht. N&L Inside 2/15: 24–28.

Gugerli F, Balkenhol N, Bolliger J 2016. Genfluss und Landschaftszerschneidung. In: Holderegger R, Segelbacher G (Hrsg.), Naturschutzgenetik — Ein Handbuch für die Praxis. Haupt, Bern.