Welche Ansprüche und Bedürfnisse haben die Naherholungssuchenden?

Der neue Leitfaden „Naherholungstypen“ für die Nachfrageorientierte Planung und Gestaltung von naturnahen Erholungsgebieten

Wie sollen Naherholungsgebiete beschaffen sein, damit sie für die Bevölkerung attraktiv sind? Welche Aktivitäten werden vorwiegend ausgeübt und wie können diese unterstützt und wenn nötig gelenkt werden? Wie sollen Naherholungsgebiete geplant und gestaltet werden, damit für die Natur ein Mehrwert entsteht? Der an der HSR Hochschule für Technik Rapperswil in Zusammenarbeit mit den Kantonen Glarus, St. Gallen, Zürich und Zug und mit Grün Stadt Zürich entwickelte Leitfaden „Naherholungstypen“ bietet Akteuren aus Planung und Politik Unterstützung bei der nachfrageorientierten Planung und Gestaltung von naturnahen Erholungsgebieten.

Landschaften zum Wohl der Bevölkerung
Immer kürzere Arbeitszeiten und mehr verfügbare Freizeit führten in den letzten Jahrzehnten in der Bevölkerung zu einem erhöhten Bedarf nach Naherholungsmöglichkeiten. Deshalb sind attraktive Naherholungsräume, insbesondere in der Alltagslandschaft und Wohnumgebung immer wichtiger. Bestehende Naherholungsräume stehen oft unter einem ausgeprägten Nutzungsdruck durch unterschiedliche Ansprüche und büssen durch die intensive Beanspruchung häufig an Qualität für die Erholungssuchenden ein. Zudem kann die Übernutzung zu einer ökologischen Entwertung dieser Gebiete führen. Noch nicht überbaute Räume geraten durch Urbanisierungsprozesse zunehmend unter Druck. Damit gehen Flächen für potenzielle Naherholungsgebiete verloren und stehen für künftige Generationen nicht mehr zur Verfügung (Buchecker et al. 2013; Grêt-Regamey et al. 2012).

Für die Planung und Gestaltung von Naherholungsgebieten sind in den meisten Fällen die Gemeinden zuständig. Ihnen obliegt es, in Abstimmung mit dem Kanton, den Nachbargemeinden und Privaten geeignete Räume vorzusehen und ausreichend Naherholungsmöglichkeiten bereitzustellen. Die Landschaftsarchitektur und verwandte Berufsgattungen haben die Aufgabe, Erholungsräume zum Wohl der Bevölkerung zu planen und zu gestalten. Oft haben sie dabei komplexe Rahmenbedingungen zu berücksichtigen, wie die landwirtschaftlichen Besitzverhältnisse oder gesetzlichen Anforderungen bezüglich anderen Nutzungen und Naturschutz (van Haaren 2004; Mönnecke et al. 2006). Ein zentraler Aspekt bei der Planung und Gestaltung von Naherholungsräumen ist die Berücksichtigung der Wünsche der Bevölkerung. Diese sind jedoch oft nicht genug bekannt, sodass die Planenden auf Annahmen und Vermutungen zurückgreifen müssen. Für die spezifische Ausgestaltung von Naherholungsräumen wäre es jedoch gerade wichtig, über präzise Anhaltspunkte zu verfügen, wie beispielsweise den Bedarf der Bevölkerung bezüglich Erreichbarkeit, Ausstattung und Angebot der Naherholungsgebiete (Mönnecke et al. 2006).

Abbildung 1: Hochwertige Naherholungsangebote in siedlungsnahen Grünräumen sind sehr wichtig (Foto: Dominik Siegrist).

Abbildung 2: Erholungsgebiete im periurbanen Raum unterscheiden sich von stadtnahen Naherholungsgebieten (Foto: Laura Hofmann).

Umfrage zur bedürfnisgerechten Planung und Gestaltung von naturnahen Erholungsräumen
Ein Leitfaden (Ketterer Bonnelame, Siegrist 2018a) für die Planung und Gestaltung von naturnahen Erholungsräumen, der an der HSR Hochschule für Technik entwickelt wurde, soll dabei Unterstützung bieten. Dieser beruht auf Ergebnissen des Forschungsprojekts „Naherholungstypen – Entwicklung einer Typologie von Erholungssuchenden als Basis für die Gestaltung und Planung von naturnahen Erholungsräumen“ (Ketterer Bonnelame, Siegrist 2018b), das in Zusammenarbeit mit den Partnern Bundesamt für Umwelt BAFU, Vertretern der Kantone Glarus, St. Gallen, Zürich und Zug sowie der Universität Groningen (NL) durchgeführt wurde.

In den fünf Testgebieten (Gäsi/GL, Seeufer Rapperswil-Jona/SG, Chatzenbach/ZH, Hardwald/ZH, Zugerberg/ZG,) wurden Befragungen von Erholungssuchenden zu den Motiven des Besuches, den Präferenzen bezüglich Landschaft und Infrastruktur und zum Aufenthalts- und Mobilitätsverhalten durchgeführt. Mit einer Online-Umfrage über das für die Schweiz angepasste Umfrage-Tool Greenmapper der Universität Groningen (http://www.greenmapper.org/schweiz/) wurden die Befragungsergebnisse validiert. Das Tool ermittelte zusätzlich georeferenzierte lokale und regionale Erholungshotspots (Sijtsma et al. 2012).

In der Umfrage wurden folgende Merkmale ermittelt:

  • Naherholungssuchende sind am häufigsten allein oder zu zweit unterwegs.
  • Sie sind täglich bis mehrmals während der Woche im Gebiet anzutreffen.
  • Die meisten Naherholungssuchenden haben eine Anreisezeit von weniger als einer Viertelstunde.
  • Gute Erreichbarkeit und die Nähe zum eigenen Wohnort ist die wichtigste Motivation, ein Naherholungsgebiet aufzusuchen.
  • Sie halten sich zwischen einer und mehreren Stunden im Gebiet auf; eine längere Anreise ist mit einer längeren Aufenthaltsdauer verbunden.
  • Der grösste Teil der Naherholungssuchenden gelangt zu Fuss ins Gebiet, ein kleinerer Teil mit dem Auto, gefolgt vom Velo und dem ÖV; der Autoanteil hängt stark von der Lage der Naherholungsgebiete ab, im städtischen Einzugsgebiet ist dieser deutlich geringer.

In Bezug auf Angebote und Störungen resultierten folgende Ansprüche:

  • Wald und Waldränder, gefolgt von Gewässern und blumenreichen Wiesen sind die bevorzugten Landschaftselemente.
  • Spazieren ist die mit Abstand am meisten ausgeführte Aktivität; weitere wichtige Aktivitäten sind je nach Charakter des Naherholungsgebietes Landschaft geniessen und Natur beobachten, Velo fahren, Baden, Schwimmen und Wandern.
  • Eine wichtige Motivation zum Aufsuchen von Naherholungsgebieten bilden Möglichkeiten für Bewegung und Sport sowie frische Luft zum Durchatmen.
  • Sitzgelegenheiten, aber auch Feuerstellen, Picknickplätze, Spielplätze und die verschiedenen Formen von Wegen und Laufstrecken erfreuen sich grosser Beliebtheit.
  • Naherholungssuchende bevorzugen breite Schotterwege, gefolgt von schmalen Trampelpfaden, während beleuchtete Promenaden kein grosses Bedürfnis darstellen.
  • Liegengebliebene Abfälle empfinden viele Naherholungssuchende als störend.

Je nach Erholungsgebiet zeigte die Befragung unterschiedliche Ergebnisse. So reisen die Erholungssuchenden auf unterschiedliche Art in die Gebiete (siehe Abbildung 3). Oder sie zeigen unterschiedliche Motivationen, die Naherholungsgebiete aufzusuchen (siehe Abbildung 4).

Abbildung 3: Umfrageergebnisse bezüglich Anreisemobilität in fünf Erholungsgebieten.

Abbildung 4: Umfrageergebnisse bezüglich Motiven in fünf Erholungsgebieten.

Die Erholungssuchenden im Naherholungsgebiet Seeufer Rapperswil Jona äusserten sich dazu, was ihnen am Gebiet besonders gefällt. Die verschiedenen Nennungen finden sich in der Wordcloud (siehe Abbildung 5) wieder. Je häufiger ein Begriff genannt wurde, desto grösser erscheint er.

Abbildung 5: Wordcloud zu den Präferenzen der Erholungssuchenden im Naherholungsgebiet Seeufer Rapperswil-Jona.

Praxisleitfaden Naherholungstypen
Auf Basis der Umfrage-Ergebnisse wurde der Praxisleitfaden „Naherholungstypen“ für die nachfrageorientierte Planung und Gestaltung von naturnahen Naherholungsräumen entwickelt. In der Begleitgruppe wirkten Vertreterinnen und Vertreter der Kantone Glarus, St.Gallen, Zürich und Zug, von Grün Stadt Zürich sowie von Landschaftsarchitektur-Büros mit. Der Praxisleitfaden stellt 13 Naherholungstypen vor. Diese gliedern sich in Landschaftspräferenztypen und Nutzungstypen und können vier unterschiedlichen Erlebnisweisen zugeordnet werden (siehe Abbildung 6). Die Naherholungstypen bilden nicht einfach das Verhalten von einzelnen Erholungssuchenden ab. Vielmehr handelt es sich dabei um eine Klassifizierung von Merkmalen, die für bestimmte Segmente und Einzelpersonen in mehr oder weniger hohem Mass zutreffen. Ein einzelner Erholungssuchender kann somit durchaus Anteile von mehreren Naherholungstypen aufweisen (z.B. gleichzeitig Panoramatyp und Spaziertyp sein). Und er kann an einem Tag zu einem Naherholungstypen (z.B. Naturtyp) gehören, an einem anderen Tag zu einem anderen (z.B. Joggingtyp). Diese flexible Veränderbarkeit der Naherholungstypen gilt es bei deren Anwendung in der Praxis zu berücksichtigen.

Abbildung 6: 13 Naherholungstypen und 4 Erlebnisweisen.

Die Berücksichtigung der Ansprüche und Bedürfnisse von Erholungssuchenden ist ein wichtiges Element bei der Planung und Gestaltung von Naherholungsgebieten. In diesem Sinn ist es das Ziel des Praxisleitfadens, in der Landschaft tätige Fachleute in ihrer praktischen Arbeit zu unterstützen. Adressaten des Praxisleitfadens sind Fachleute wie Landschaftsarchitekten, Raumplaner, Förster, Geografen, Kulturingenieure und Ökologen. Der Leitfaden möchte aber auch den Verantwortlichen in Gemeinden, der Fachstellen der Kantone und des Bundes, Fachverbänden, Umweltorganisationen und Forschenden nützliche Anregungen und Hinweise vermitteln.

Der Praxisleitfaden „Naherholungstypen“ besteht aus einem einleitenden Teil mit wichtigen Grundlagen der Naherholungsplanung. Im zweiten Teil werden die Anforderungen und Bedürfnisse der Erholungssuchenden thematisiert. Der dritte Teil bildet mit der Charakterisierung der Naherholungstypen und einem Anforderungskatalog das Kernstück des Leitfadens. So sind die für die einzelnen Naherholungstypen spezifischen Ansprüche bezüglich Naherholungsräumen jeweils für die drei Themenbereiche Landschaft, Infrastruktur und Wege dargestellt. Im vierten Teil des Leitfadens findet sich ein Katalog mit Anwendungsbeispielen aus der Praxis.

Kontakt
Dominik Siegrist
Institut für Landschaft und Freiraum,
HSR Hochschule für Technik, 8640 Rapperswil,
Tel. 055 222 47 91, Email dominik.siegrist@hsr.ch, www.ilf.hsr.ch

Lea Ketterer Bonnelame
Institut für Landschaft und Freiraum,
HSR Hochschule für Technik, 8640 Rapperswil,
Tel. 055 222 47 94, Email lea.ketterer@hsr.ch, www.ilf.hsr.ch

 Weitere Informationen: www.ilf.hsr.ch

Literatur
Buchecker, M., Kienast, F., Degenhardt, B., Widmer S., Moritzi M. (2013). Naherholung räumlich erfassen. Merkblatt Praxis 51. Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL, Birmensdorf.

Grêt-Regamey, A., Neuenschwander, N., Wissen Hayek, U. Backhaus, N., Tobias, S. (2012). Landschaftsqualität in Agglomerationen. Fokusstudie des Nationalen Forschungsprogramms 54. Bern.

Ketterer Bonnelame L., Siegrist D. (2018a). Naherholungstypen. Leitfaden für die nachfrageorientierte Planung und Gestaltung von naturnahen Naherholungsgebieten. Schriftenreihe des Instituts für Landschaft und Freiraum. HSR Hochschule für Technik Rapperswil, Nr. 15. Rapperswil. ISSN 1662-5684, ISBN 978-3-9524933-0-4

Ketterer Bonnelame, L., Siegrist, D. (2018b). Erholungstypen – Entwicklung einer Typologie von Erholungssuchenden als Basis für die Gestaltung und Planung von naturnahen Erholungsräumen. Schlussbericht des Forschungsprojekts. Schriftenreihe des Instituts für Landschaft und Freiraum. HSR Hochschule für Technik Rapperswil, Nr. 16. Rapperswil. ISSN 1662-5684, ISBN 978-3-9524933-1-1

Mönnecke, M., Schubert, B., Wasem, K., Spiess, H., Kümin, D. (2006). Ansprüche von Naherholungsuchenden und deren Berücksichtigung in verschiedenen Arten von Planungsinstrumenten. Projekt im Rahmen des WSL-Programmes «Landschaft im Ballungsraum». Rapperswil, Winterthur.

Schwarze, M. (1980). Landschaft für die Erholung am Beispiel der Seeuferplanung am Bodensee, Kanton Thurgau. In: Geographica Helvetica 1980, Nr. 1.

Sijtsma, F., Daams, M., Farjon, H., Buijs, A. (2012). Deep feelings around a shallow coast. A spatial analysis of tourism jobs and the attractivity of nature in the Dutch Wadden area. In: Ocean & Coastal Management 68 (2012), 138 -148.

von Haaren, C. (2004). Landschaftsplanung. Stuttgart.