Wildpflanzenförderung im Siedlungsraum: ökologische und gestalterische Qualitäten integrieren und verbessern

Das Potenzial naturnaher Bepflanzungen im Siedlungsraum als Lebensraum für siedlungsspezifische Arten und Refugien für Arten aus der Kulturlandschaft wird zunehmend erkannt. Die Gestaltung mit Wildpflanzen profitiert von einer engen Zusammenarbeit zwischen der grünen Branche und der Naturschutzpraxis. Diese Zusammenarbeit stand im Zentrum einer vom ILF — dem Institut für Landschaft und Freiraum an der HSR Hochschule für Technik in Rapperswil — am 24. Mai 2019 organisierten Tagung, an welcher ca. 120 Expertinnen und Experten aus der ganzen Schweiz teilnahmen. Inspiriert durch Inputreferate von Fachpersonen aus Deutschland und der Schweiz und der Branchenverbände Jardin Suisse und Bioterra wurde anhand der drei Themenbereiche „Artenauswahl und Mischpflanzungen“, „Gestaltung und Entwicklung von Wildpflanzenbeständen“ und „Herkunft und Qualität von Saat- und Pflanzgutmaterial“ die Vernetzung von Expertisen und Akteuren und das daraus resultierende Innovationspotenzial der Wildpflanzenförderung diskutiert. Bei einer Führung durch die neu gestalteten Grünflächen des HSR Campus konnten die Überlegungen am konkreten Beispiel geprüft werden. Es herrschte ein breiter Konsens, dass ein regelmässiger Austausch zwischen Forschung und Anwendung, und zwischen Praktikern aus Naturschutz und grüner Branche, dringend nötig ist, um die Biodiversität und attraktive Gärten im Siedlungsraum nachhaltig zu fördern.

Ausgangslage
Die Verwendung von Wildpflanzen im Siedlungsraum und in Gärten liegt im Trend. Naturnahe Bepflanzungen haben ein grosses ästhetisches Potential (Abb. 1), können Refugien für Arten aus der Kulturlandschaft bieten und als Lebensraum für siedlungsspezifische Arten dienen. Dieses Potential zur Biodiversitätsförderung wird in der Schweiz zunehmend wahrgenommen. So haben die Strategie Biodiversität Schweiz (SBS) und der Aktionsplan Strategie Biodiversität Schweiz die Bedeutung der Siedlungen für die Erhaltung der Biodiversität erkannt. Ökologisch wertvolle Grünräume im Siedlungsraum haben gemäss SBS auch weitere Funktionen: „Sie fördern mit Naturerfahrungen und -erlebnissen die Wahrnehmung der Umwelt und unterstützen damit auch das Verantwortungs­bewusstsein gegenüber der Biodiversität. Frei- und Grünräume in den Siedlungen können auch andere Räume vom zunehmenden Druck durch Erholungssuchende entlasten“. Auch die Aktion «Mission B – für mehr Biodiversität» von SRF, RSI, RTR und RTS stärkt momentan das Bewusstsein für die akute Biodiversitätskrise und die Chancen, welche Gärten bieten, in der breiten Bevölkerung. Zudem tritt der Branchenverband Jardin Suisse in diesem Jahr mit einer Plakatkampagne zum Thema Biodiversität in der Öffentlichkeit auf (www.jardinsuisse.ch), und die Stiftung Natur und Wirtschaft zertifiziert neu auch Privatgärten (https://www.naturundwirtschaft.ch). Auch in der Architektur und Freiraumgestaltung wird der Wert von Natur in der Stadt erkannt. Das Architekturforum Zürich hat gemeinsam mit der Architekturzeitschrift werk, bauen, wohnen eine Ausstellung und ein Themenheft zu Fassadenbegrünungen konzipiert und in der Landschaftsarchitektur gewinnen Projekte mit einem Fokus auf Biodiversität die wichtigsten Preise in der Schweiz; z.B. die Neugestaltung des Wasserkraftwerks am Aare-Hagneck-Kanal (Landschaft des Jahres 2017 der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz, umsicht – regards – sguardi 2017 der sia) oder der Murg-Auen-Park in Frauenfeld (Schulthess Gartenpreis 2017 des Schweizer Heimatschutzes, Hase in Gold von Hochparterre). Gleichzeitig florieren die etablierten Naturgärtnereien, die zum Beispiel im Verband Bioterra vernetzt sind (https://www.bioterra.ch/). So hat Winkler und Richard Naturgärten (https://www.gartenland.ch/) bereits mehrfach den Preis für den besten Schaugarten an der Schweizer Gartenmesse Giardina gewonnen.

Biodiversität und Gartengestaltung sind offensichtlich keine Gegensätze (mehr). Aber wie lässt sich sicherstellen, dass diese Trends anhalten und die naturschützerische, ökologische und gestalterische Qualität auch in einer Phase der Etablierung in der breiten Bevölkerung erhalten bleibt? Diese Fragen begleitet das interdisziplinäre Team des ILF Institut für Landschaft und Freiraum an der HSR Hochschule für Technik in Rapperswil als Moderatorin eines partizipativen Prozesses. Das ILF ist das Forschungsinstitut der Abteilung Landschaftsarchitektur der HSR. Es integriert Pflanzenökologinnen und Naturschutzfachleute mit Fachpersonen aus den Bereichen Pflanzenverwendung, Gartengestaltung und Entwurf und Planung von Parkanlagen und urbanen Freiräumen.

 

Abb. 1: Wildpflanzenförderung auf dem Campus der HSR Rapperswil (Photos: M. Krieger).
Abb. 1: Wildpflanzenförderung auf dem Campus der HSR Rapperswil (Photos: M. Krieger).

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Zielsetzungen
Das Forschungs- und Dienstleistungsprogramms des ILFs hat zum Ziel, die Zusammenarbeit zwischen der grünen Branche und der Naturschutzpraxis zu fördern für eine kontinuierliche Erhaltung und Verbesserung der Qualität der Wildpflanzenförderung im Siedlungsraum in drei Bereichen:

  • Artenauswahl: welche Wildpflanzenarten und welche Mischpflanzungen von Wildpflanzen eignen sich unter welchen Standortbedingungen? Wie kann die Produktion von qualitativ hochwertigem und genetisch vielfältigem Samen- und Pflanzmaterial in genügender Menge sichergestellt werden?
  • Ökologie: welche ökologischen Faktoren müssen bei der Förderung von Wildpflanzen in Gärten, Umgebungsgrün, Parkanlagen und Siedlungsraum beachtet werden? Wie entscheidend ist die Qualität von Pflanzungen für heimische Tierarten?
  • Gestaltung: wie kann eine hohe ästhetische Qualität und ein effektiver Unterhalt von Wildpflanzenbeständen gesichert werden und an verschiedene ästhetische Bedürfnisse angepasst werden? Wie soll im Siedlungsraum mit natürlichen Bestandesdynamiken umgegangen werden?

Projektbeschrieb
Eine wichtige Grundlage für das Projekt war ein Selbstexperiment: die Neugestaltung der Grünräume des HSR Campus in Rapperswil als Lernlabor für Studierende und Dozierende (Abb. 1). Bereits durch die Lage zwischen Stadt und See stellt der Campus mit seinen Gartenanlagen ein spannender Mikrokosmos dar: Gelegen zwischen dem See mit einem Naturschutzgebiet und der Urbanität des Bahnhofs mit den Gleisen sowie der Stadt mit vielen versiegelten Flächen. Zwischen diesen Polen existiert hier im Kleinen, was wir im grösseren Massstab in der Schweizer Landschaft vorfinden. Das neue Bepflanzungskonzept integriert Zierpflanzen aus aller Welt mit heimischen Wildpflanzen und reflektiert das Spannungsfeld zwischen Natur und Stadt. Nahe am See und mit Blick in die Voralpen wachsen mehrheitlich heimische Baumarten zwischen Magerwiesen und Seeufervegetation. Ein Wildstaudengarten und ein Wildbienenlebensraum befinden sich auch hier. Richtung Bahnhof werden zunehmend nicht heimische Bäume und Stauden häufiger: hier lernen die Studierenden viele Pflanzen aus aller Welt kennen. Die Stauden werden als artenreiche Mischpflanzungen gepflegt, in welchen oft einheimische und nicht heimische Arten kombiniert wurden.

An einer Tagung am 24. Mai 2019 an der HSR Rapperswil haben rund 120 Expertinnen und Experten aus Naturschutz und grüner Branche aus der ganzen Schweiz die drei Themenbereiche «Artenauswahl und Mischpflanzungen», «Gestaltung und Entwicklung von Wildpflanzenbeständen» und «Herkunft und Qualität von Saat- und Pflanzgutmaterial» vertieft behandelt. Der Tag begann mit Inputreferaten von Fachpersonen aus Deutschland und der Schweiz und der Branchenverbände Jardin Suisse und Bioterra. Walter Durka vom Umweltforschungszentrum Halle-Leipzig hat anhand aktueller Forschung aufgezeigt, dass Wildpflanzen, insbesondere wenn von Insekten bestäubt, klare regionale genetische Unterschiede zeigen. Auch der Verlust genetischer Vielfalt durch die gärtnerische Selektion ist eine Herausforderung und erfordert eine regelmässige Auffrischung mit Wildsaatgut, welches nach klaren ökologischen und genetischen Kriterien gesammelt werden muss. Karin Marti vom Büro topos hat verschiedene Artenschutzprogramme zur Förderung seltener Wildpflanzen im Siedlungsraum des Kantons Zürich vorgestellt. Die Förderung von seltenen Arten ist auch in Siedlungen (zum Teil unter Einbezug von Privatpersonen) möglich aber anspruchsvoll und bedarf eines strikten Naturschutzmanagements besonders bei bedrohten Wildarten, die mit Zierpflanzen in Gärten hybridisieren können. Doris Tausendpfund (ZHAW Wädenswil), Stephan Aeschlimann-Yelin (Gartenwerke GmbH) und Peter Steiger (Bioterra) haben anhand vieler Beispiel aufgezeigt wie Naturgärten und Wildpflanzen attraktiv und vielfältig in der Gestaltung einsetzt werden können. Barbara Jenny (Jardin Suisse) gab einen umfassenden Einblick in die Naturschutzstrategie und Wildpflanzenförderung des Unternehmerverbandes der Schweizer Gärtner.

Am Nachmittag wurden die Themen in Arbeitsgruppen vertieft. Es gab einen breiten Konsensus, dass eine regelmässige Zusammenarbeit zwischen der grünen Branche, Gestaltern, Planern und Ökologinnen sehr produktiv und dringend nötig ist, und dass gute Pflanzenverwendung Ökologie und Gestaltung integriert. Statt starrer Regeln gilt es, flexibel und standortangepasst gute Lösungen zu finden. Die Festlegung eines fixen Verhältnisses von heimischen Arten zu Zierpflanzen wurde als schwierig beurteilt. Als sinnvoll beurteilt wurde die Faustregel, dass mit zunehmendem städtischen Charakter einheimische Arten und Zierpflanzen gemischt werden können während mit zunehmender Natürlichkeit der Landschaft auf die Verwendung von Neophyten verzichtet werden sollte. Eine offene Frage blieb inwiefern Sorten von Wildpflanzen als heimisch gelten können.

Als häufig wiederkehrende Herausforderung wurde das fehlende Wissen und zu wenig Ausbildung im Bereich Wildpflanzen identifiziert. Vor allem die Kenntnisse der Pflege von Wildstaudenpflanzungen gilt es zu verbessern. Fehlende Artenkenntnisse in Gartenzentren können dazu führen, dass einheimische Arten weniger verkauft werden. Auch ist es aufgrund der hohen Preiskonkurrenz durch konventionelle Pflanzenproduzenten schwierig, Kunden zu vermitteln, weshalb sie für Wildstauden mehr bezahlen sollen. Es wurde zudem darüber diskutiert, ob Vorgaben oder Anreizsysteme sinnvoll oder gar nötig sind, um Wildpflanzen zu fördern; beispielsweise in der kommunalen Bauordnung oder über finanzielle Entschädigungen für Bauherrschaften oder Garteneigentümerinnen.

Weil ein breiter Konsens bestand, dass ein regelmässiger Austausch zwischen Praktikern aus Naturschutz und grüner Branche dringend nötig ist, ist der Aufbau einer permanenten Groupe de Reflexion und regelmässiger Veranstaltungen geplant.

Finanzierung
Die Tagung wurde finanziell unterstützt durch die HSR Rapperswil und das PSC-Mercator PhD Fellowship Program ‘Bridging Plant Sciences and Society’ des Zurich-Basel Plant Science Center.

Weiterführende Literatur
Denzler, L. 2018. Die grüne Branche muss vorausdenken. Ein Gespräch über Grünraumgestaltung, Biodiversität und invasive Pflanzen mit Mark Krieger und Christoph Küffer. TEC21 48: 27-30.

Projektverantwortung
Jasmin Joshi, Mark Krieger & Christoph Küffer
ILF Institut für Landschaft und Freiraum, HSR Hochschule für Technik Rapperswil, Oberseestrasse 10, CH-8640 Rapperswil
jasmin.joshi@hsr.ch, mark.krieger@hsr.ch, christoph.kueffer@hsr.ch