Zusammenfassung
Seit 2009 überwacht der Kanton Thurgau in seinem Biodiversitätsmonitoring die Entwicklung von Pflanzen, Brutvögeln und Tagfaltern in der Landschaft. Die Resultate stimmen verhalten optimistisch: Bei den Pflanzen konnte kein weiterer Rückgang der durchschnittlichen Artenzahl festgestellt werden. Bei den Brutvögeln und Tagfaltern zeichnet sich gar eine leichte Erhöhung ab. Erfreulich ist zudem, dass sich alle Artengruppen in den sogenannten Vernetzungskorridoren besser entwickeln als ausserhalb. Doch es gibt auch Verlierer und eine Erholung der Bestände gefährdeter Arten ist kaum festzustellen.
Ausgangslage und Projektziele
Ziel des Biodiversitätsmonitorings Thurgau (BDM TG) ist es, die Entwicklung der Biodiversität in der Kulturlandschaft, den Siedlungen (Bauzonen) und dem Wald aufzuzeigen. Zudem soll es Hinweise liefern, ob die Massnahmen des kantonalen Landschaftsentwicklungskonzeptes (LEK) in den 154 Vernetzungskorridoren, auch Landwirtschaftsgebiet mit Vernetzungsfunktion genannt, wirken. Bei den Vernetzungskorridoren handelt es sich um Massnahmengebiete des kantonalen Vernetzungsprojektes nach DZV sowie von weiteren Lebensraumaufwertungen. Sie umfassen rund die Hälfte der landwirtschaftlichen Nutzfläche.
Methode
Die Methode des BDM TG lehnt sich eng an jene des Indikators «Artenvielfalt in Landschaften» des Biodiversitätsmonitorings Schweiz (BDM CH) an. Dessen neun Untersuchungsflächen im Thurgau reichten für kantonale Aussagen nicht aus. Eine Verdichtung auf 72 Untersuchungsflächen war nötig für eine belastbare Bewertung der vier Landschaftsnutzungen: Wald, Siedlungsgebiet (Bauzonen) sowie Landwirtschaftsgebiet mit und ohne Vernetzungsfunktion. Die untersuchten Kilometerquadrate umfassen damit rund 7 % der Kantonsfläche, wobei die effektiv bearbeitete Fläche deutlich kleiner ist, da die Erhebung nur entlang vorgegebener Strecken erfolgt. Jedes Jahr wird ein Fünftel der Untersuchungsflächen überprüft. Das Erhebungsdesign ermöglicht es, das BDM-Konzept an die kantonalen Bedürfnisse anzupassen und gleichzeitig die Vergleichbarkeit mit dem gesamtschweizerischen Programm beizubehalten.
Resultate und Kurzdiskussion
Pflanzen
Der Pflanzenartenreichtum im Thurgau ist vergleichbar mit dem des übrigen Mittellandes. Allerdings liegen einige der artenärmsten Untersuchungsflächen in den intensiv genutzten Landwirtschaftsgebieten des Thurgaus. Anders als die Tagfalter und Vögel, sind die Pflanzen auch im Siedlungsgebiet mit einer grossen Artenvielfalt vertreten (Abb. 2). Bisher konnte das BDM TG erst geringe Veränderungen der Pflanzenvielfalt feststellen (Abb. 1 und Abb. 2). Ein leichter Rückgang der Artenzahlen deutet sich im Wald und im Landwirtschaftsgebiet ohne Vernetzungsfunktion an, eine Zunahme in der Siedlung. Wie im übrigen Mittelland lässt sich eine Zunahme von wärmeliebenden und ruderalen Arten, darunter viele Archaeo- und Neophyten, feststellen. Auf der Verliererseite stehen Arten nährstoffarmer Standorte im extensiven Grünland oder solche, die an Saumstandorten gedeihen (u.a. Kleine Bibernelle und Wegwarte). Die festgestellten Trends bestätigen, dass der Klimawandel und der Eintrag von Nährstoffen eine bedeutende Rolle bei den Veränderungen in der Pflanzenwelt spielen. Insgesamt zeigt sich auch im Thurgau ein negativer Trend in der offenen Landschaft, wo die Ergebnisse auf eine weitere Nutzungsintensivierung und eine schärfere Trennung zwischen den verschiedenen Landschaftsnutzungen hindeuten.
Tagfalter
Die Tagfaltervielfalt im Thurgau liegt unterhalb jener des restlichen Mittellandes. Die Tagfalterzahlen haben aber seit 2009 über alle Nutzungen hinweg zugenommen (Abb.1 und Abb. 2). Es scheint, dass die Talsohle erreicht, respektive in den letzten Jahren durchschritten worden ist. Im Landwirtschaftsgebiet mit Vernetzungsfunktion (Vernetzungskorridore) war der Trend 2018 sogar erstmals signifikant positiv. Bei über 40% der Arten ist eine Zunahme zu verzeichnen (u.a. Dunkler Feuerfalter, Kleiner Perlmutterfalter). Im Landwirtschaftsgebiet und teilweise auch in der Bauzone haben sich einige Arten ausgebreitet und sind häufiger als zu Beginn der Untersuchungen. Als Ursachen hierfür kommen sowohl der Klimawandel als auch verbesserte Lebensraumbedingungen dank Massnahmen zur Förderung der Biodiversität in Frage. Zu den Verlierern zählen Schmetterlinge, die auf nährstoffarme Trockenwiesen oder lichte Wälder angewiesen sind (u.a. Kleiner Würfelfalter, Hundsveilchenperlmutterfalter).
Brutvögel
Die Artenzahlen der Vögel sind im Thurgau leicht tiefer als im Schweizer Mittelland. Seit 2009 haben sie aber recht deutlich zugenommen (Abb. 1 und Abb. 2). Insgesamt scheinen sich die Fördermassnahmen im Wald positiv auf die Vogelwelt auszuwirken. Auch im Landwirtschaftsgebiet ist die Vielfalt an Vogelarten auf tiefem Niveau angestiegen, und sogar einige UZL-Leitarten scheinen zu profitieren (beispielsweise der Grünspecht und der Distelfink). Im Siedlungsgebiet ist die Vogelwelt hingegen stark unter Druck und verzeichnet teilweise erhebliche Bestandsrückgänge, auch bei «Allerweltsarten» wie der Amsel. Gesamthaft betrachtet, zeigt sich ein heterogenes Bild: Während scheinbar anspruchslose Arten wie die Ringeltaube oder die Mönchsgrasmücke heute zahlreicher sind, ist der Grünfink ein Beispiel dafür, dass auch häufige Arten in kurzer Zeit grosse Bestandseinbussen erleiden können.
Unterschiede innerhalb und ausserhalb der Vernetzungskorridore
Die Entwicklung aller drei Artengruppen verläuft in den Vernetzungskorridoren deutlich positiver als ausserhalb. Die hier getätigten Massnahmen zur Förderung der Biodiversität scheinen zu wirken. Besonders Tagfalter- und Pflanzenarten von wenig intensiv genutzten Wiesen konnten profitieren, wohl auch eine Folge der Ansaat von bald 300 ha Blumenwiesen. Bei den Vögeln sind es beispielsweise Heckenarten, wie Goldammer und Gartengrasmücke, die sich in den Vernetzungskorridoren positiver entwickeln. Aber es gibt auch Verlierer: Einige Schmetterlinge, die auf ganz magere Trockenwiesen angewiesen sind, haben abgenommen. Und auch der Feldlerche und gewissen Ackerwildkräutern konnte mit den aktuellen Fördermassnahmen bisher nicht merklich geholfen werden. Diesen Lebensräumen und Arten muss bei der Fortführung des Vernetzungsprojektes besondere Beachtung geschenkt werden.
Zwischenfazit
Das Zwischenfazit fällt verhalten positiv aus. Erstenskönnte die Talsohle des Artenrückgangs im Thurgau erreicht oder gar durchschritten sein, jedenfalls was die einst eher häufigen und wenig spezialisierten Arten betrifft. Dies steht im (vermeintlichen) Widerspruch zu diversen Studien, die ein düsteres Bild zeichnen. Ein möglicher Grund ist, dass diese Studien auf Messreihen basieren, die älter sind als das BDM TG. Somit bilden sie oft auch die grossen Biodiversitätsverluste in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ab. Das BDM TG setzt womöglich erst nach dem grossen Biodiversitätsverlust der letzten Jahrzehnte ein. Zudem ist das BDM kein Monitoring seltener Arten der Roten Listen. Deren Entwicklung dürfte auch im Thurgau wenig erfreulich sein. Wie oben skizziert zeigt das BDM TG zudem auch viele Verlierer. Die generell positive Tendenz darf über diese besorgniserregenden Entwicklungen nicht hinwegtäuschen. Zweitens erlaubt das Monitoring, schleichende Veränderungen zu erkennen. Kantonale politische und praktische Entscheide können folglich vermehrt faktenbasiert getroffen werden. Dies ist unerlässlich angesichts der grossen Anstrengungen, die in die Massnahmen des Landschaftskonzeptes Thurgau (LEK TG) fliessen. Drittens zeigen die Resultate, dass sich alle Artengruppen in den Vernetzungskorridoren besser entwickeln als ausserhalb. Dies darf als Indiz dafür gewertet werden, dass die Massnahmen des LEK TG in den für die Vernetzung von Naturschutzgebieten wichtigen Korridoren im Landwirtschaftsland wirken, wenn auch nicht für alle Arten. Entsprechende Weiterentwicklungen sind notwendig.
Ausblick
Was bleibt zu tun? Erstens sollte das BDM TG weitergeführt werden. Denn nach zehn Jahren sind robuste Aussagen noch nicht möglich. Zudem liefert das BDM TG den kantonalen Fachstellen wertvolle Handlungsgrundlagen, auch für den Aufbau der ökologischen Infrastruktur. Erfreulich ist daher, dass der Regierungsrat Ende 2018 die dritte Erhebungsperiode des BDM TG beschlossen hat und die Finanzierung weiterhin gemeinsam von vier Ämtern (Umwelt, Forst, Landwirtschaft, Raumentwicklung) sichergestellt wird. Zweitens sollten die bisherigen Anstrengungen zur Förderung der Biodiversität zwingend fortgesetzt werden. Die Trendwende beim Biodiversitätsverlust muss endlich Tatsache werden. Drittens erhöht die geforderte Siedlungsentwicklung nach innen den Druck auf Freiflächen in Städten und Dörfern. Ein herausforderndes Handlungsfeld liegt somit direkt vor der Haustür. Gefragt sind sorgfältige Lösungen, welche die Bedürfnisse von Mensch und Biodiversität ins Zentrum stellen. Zudem gilt es, wieder mehr einheimisches Grün in die Gärten zu bringen, ungenutzte Flächen naturnah zu gestalten und periodisch sich selbst zu überlassen. Die Motorsense darf auch einmal ausgeschaltet bleiben. Der Natur, dem Portemonnaie und uns Menschen täte etwas mehr «unschweizerische Unordnung» ausserordentlich gut.
Originaltexte und weiterführende Literatur
Obiger Beitrag basiert auf Originaltexten aus der Publikation 69 der Thurgauer Naturforschenden Gesellschaft (2018) „Das Biodiversitätsmonitoring Thurgau. Erste Ergebnisse und Schlussfolgerungen der Erhebungen von 2009 bis 2012 und von 2013 bis 2017.“ Die Originaltexte stammen von Raimund Hipp, Mathis Müller, Matthias Plattner und Tobias Roth. Ein Dank gilt den Autoren. Die rund 100seitige Publikation kann für CHF 30 bezogen werden unter naturmuseum@tg.ch. In obigem Beitrag wurden die neuesten Ergebnissen von 2018 berücksichtigt.
Weblinks
www.biodiversitymonitoring.ch
www.raumentwicklung.tg.ch / Themen / Natur / Biodiversitätsmonitoring
Projektverantwortung, Autor und Ansprechperson
Matthias Künzler, Amt für Raumentwicklung, Verwaltungsgebäude Promenade, 8510 Frauenfeld, 058 345 62 59, matthias.kuenzler@tg.ch
Projektleitung und Umsetzung
Matthias Plattner, Hintermann & Weber AG, Reinach (plattner@hintermannweber.ch, 061 717 88 84) und Joggi Rieder, Kaden und Partner AG, Frauenfeld (rieder@kadenpartner.ch, 052 720 18 37).