Wie verändern alpine Solarparks die Vegetation, den Boden und das Ökosystem?

THOMAS MATHIS, ANDREAS STAMPFLI, ARIANE STÖCKLI

Der neue Artikel 71a des Energiegesetzes (EnG) sieht Erleichterungen bei der Bewilligungspraxis für alpine Photovoltaik-Grossanlagen vor. Erfüllt ein Solarpark die Voraussetzungen (jährliche Mindestproduktion von 10 GWh, Stromproduktion im Winterhalbjahr ≥500 kWh pro 1 KW installierte Leistung), so gilt sie als standortgebunden und von nationalem Interesse und ist nicht planungspflichtig. Solarparks dürfen Biotope von nationaler Bedeutung (Trockenwiesen und -weiden, Flachmoore, Moorlandschaften) nicht tangieren. Für die Kantone, welche die UVP-pflichtigen Projekte bewilligen, gilt weiterhin das Gebot der bestmöglichen Schutz-, Wiederherstellungs- und Ersatzmassnahmen gemäss Art. 181ter NHG.

Die Auswirkungen auf Vegetation, Boden und Artenvielfalt wurden in der Schweiz bisher nicht wissenschaftlich untersucht. Im Ausland zeigen erste Studien in verschiedenen Ökosystemen Veränderungen von Strahlung und Mikroklima mit direkten Auswirkungen auf Vegetation und Boden und geben Hinweise auf längerfristige Veränderungen des Ökosystems, die stark durch den Kontext mitbestimmt werden.

 

Visualisierung Solaranlage der Morgeten Solar AG (Gemeinde Oberwil i. S. BE) Copyright: Rapp AG/Peter Stutz

 

Studien zeigen unterschiedliche Vegetationsveränderungen

Der Schatten der Panels verändert das Wachstum und die Wuchshöhe von Pflanzen, die Verteilung und Diversität von Arten sowie die Zusammensetzung von Pflanzengemeinschaften. Die im Tagesgang wechselnde Intensität der Strahlung, PAR (Photosynthetically Active Radiation), unter Panels modifiziert die Produktivität (Sturchio et al. 2022). Dabei können regelmässige Muster auftreten, die kleinräumige Unterschiede in Bodenfeuchte und Bodentemperatur widerspiegeln (Zhu et al. 2021). In Gebieten mit hoher Strahlung kann eine PAR-Reduktion die Produktivität fördern, indem die Austrocknung des Oberbodens gebremst und dadurch die Nährstoffverfügbarkeit begünstigt wird (Körner 1999).

Bisherige Studien zeigen, dass Pflanzenarten mit spezifischen funktionellen Eigenschaften verdrängt werden. Ein starker Einfluss des lokalen Kontextes lässt sich daran erkennen, dass nicht überall die gleichen Eigenschaften verdrängt werden. In Tschechien zeigten lichtliebende Pflanzenarten unter Panels eine höhere Deckung als im umgebenden Grasland (Uldrijan et al. 2022). In Südfrankreich hingegen wurden lichtliebende Arten von schattentoleranten Arten verdrängt (Lambert et al. 2023). Pflanzen unter Panels zeigten in dieser Studie sogar einen höheren Chlorophyllgehalt als in Kontrollflächen. In einem temperaten Grasland in Colorado wurden schattentolerante Arten ebenfalls gefördert (Kannenberg et al. 2023).

Noch fehlen Studien, die zeigen, wie sich verschiedene Eingriffe vom Bau bis zum Betrieb der Solarparks und die Nutzung oder Pflege der Vegetation längerfristig auf die Funktionen und Leistungen der einzelnen Ökosysteme auswirken. Die zu erwartenden Funktionsveränderungen der Ökosysteme sollen deshalb mit vergleichbaren Methoden untersucht und dokumentiert werden, so dass die zukünftigen Auswirkungen der Eingriffe ökosystemspezifisch analysiert und vergleichend bewertet werden können. Da der lokale Kontext einen starken Einfluss hat, ist eine Wirkungskontrolle in allen Ökosystemen sinnvoll, in denen Solarparks installiert werden. Die Kontrolle soll bereits in der Ausgangssituation vor dem Bau der Solarparks beginnen und über einen längeren Zeitraum koordiniert geplant werden.

 

Kanton Bern verlangt für jede Anlage Wirkungskontrollen über 10 Jahre

Die Naturschutzfachstellen der Kantone haben im Rahmen der bevorstehenden Umweltverträglichkeitsprüfungen der Anlagen die Aufgabe, alle direkten und mittelfristigen Eingriffe in die meist schützenswerten Lebensräume zu beurteilen: Die temporären und permanenten technischen Eingriffe von Solarparks in Lebensräume können mit der bafu-Methode zur Beurteilung von Eingriffen in schutzwürdige Biotope (BESB) ermittelt werden. Aufgrund des fehlenden Wissens über die langfristigen Auswirkungen der Beschattung auf die Vegetation gibt es jedoch keine gesicherten Annahmen zur Abschätzung des Bedarfs an Ersatzmassnahmen.

Die Abteilung Naturförderung (ANF) des Kantons Bern verfolgt einen wissenschaftlichen Ansatz zur 10-jährigen Wirkungskontrolle von Photovoltaikanlagen und verlangt diesen im Rahmen der anstehenden Bewilligungsverfahren.

In Zusammenarbeit mit der Berner Fachhochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften HAFL in Zollikofen und dem Ingenieurbüro Bächtold und Moor erarbeitet die ANF zurzeit die wissenschaftliche Methodik für eine 10-jährige Wirkungskontrolle. Die ANF wird für die ca. zehn bewilligungsfähigen alpinen Solaranlagen im Kanton Bern entsprechende Auflagen für eine Wirkungskontrolle formulieren und die wissenschaftliche Methodik festlegen.

 

Wissenschaftlicher Ansatz möglichst pragmatisch

Die Wirkungskontrolle konzentriert sich auf die Artenzusammensetzung und die Pflanzendecke von beschatteten Versuchs- und Kontrollflächen mit gleicher Bewirtschaftung sowie auf die Vegetation der gesamten Solaranlage. Grösse und Anzahl der Untersuchungsflächen werden so gewählt, dass Vegetationsveränderungen statistisch abgesichert werden können.

Funktionelle Eigenschaften wie die spezifische Blattfläche oder die Wurzeltiefe geben Aufschluss über wichtige Vegetationsfunktionen wie die Bereitstellung von Futter für Tiere (Andrew et al. 2021), Lebensraum für Pflanzen, Tiere und Bodenorganismen oder der Schutz vor Erosion (Vaverkova et al. 2022). Aus funktionellen Eigenschaften der einzelnen Arten und wiederholt erfassten Daten der Artenzusammensetzung können Funktionsveränderungen der Ökosysteme errechnet werden. Zusätzlich können fest installierte Datenlogger die Temperatur- und Lichtwerte im Tagesgang aufzeichnen, wertvolle Informationen für die Interpretation von Vegetationsveränderungen liefern.

 

Wirkungskontrolle bei geschützten und seltenen Tierarten

Tangiert der Solarpark die Population einer seltenen oder geschützten faunistischen Art, wie dies im Kanton Bern beispielsweise beim Sudenten-Mohrenfalter (Erebia sudetica inalpina, Status VU), der Wanstschrecke (Polysarcus denticauda, Status NT) oder dem geschützten Birkhuhn (Lyrurus tetrix Status NT) der Fall ist, liegt es im Ermessen der kantonalen Fachstelle, ob und wie eine Wirkungskontrolle zur Ermittlung potenziell negativer Beeinträchtigungen durch den Solarpark festgelegt werden muss. Die ANF verlangt im Rahmen der Bewilligungsauflagen eine 10-jährige semiquantitative Wirkungskontrolle durch Fachleute, wenn die Anlage den Lebensraum einer Art der Roten Liste tangiert. Die Methodik der Wirkungskontrolle hängt von der zu untersuchenden Art ab.

 

 

Kontakt:

Thomas Mathis, Abteilung Naturförderung Kanton Bern, Fachbereich Stellungnahmen und Beratung, Tel. +41 31 635 48 58.

Email: thomas.mathis@be.ch

Autoren/Autorin:

Thomas Mathis, thomas.mathis@be.ch, Abteilung Naturförderung, Kanton Bern

Andreas Stampfli, andreas.stampfli@bfh.ch (Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften HAFL, Zollikofen BE)

Ariane Stöckli (ariane.stoeckli@baechtoldmoor.ch, Bächtold und Moor, Bern)

Literatur:

Andrew et al. (2021) Herbage yield, lamb growth and foraging behavior in agrivoltaic production system. Frontiers in Sustainable Food Systems 5. DOI 10.3389/fsufs.2021.659175

Kannenberg et al. (2023) Grassland carbon-water cycling is minimally impacted by a photovoltaic array. Communications Earth & Environment 4. DOI 10.1038/s43247-023-00904-4

Körner (1999) Alpine Plant Life. Functional Plant Ecology of High Mountain Ecosystems. Springer, Berlin Heidelberg.

Lambert et al. (2023) Photovoltaic power stations: an opportunity to promote European semi-natural grasslands? Frontiers in Environmental Sciences. DOI 10.3389/fenvs.2023.1137845

Sturchio et al. (2022) Grassland productivity responds unexpectedly to dynamic light and soil water environments induced by photovoltaic arrays. Ecosphere 13. DOI 10.1002/ecs2.4334

Uldrijan et al. (2022) Solar Park: Opportunity or Threat for Vegetation and Ecosystem. Journal of Ecological Engineering, 23. DOI 10.12911/22998993/153456

Vaverkova et al. (2022) Fire hazard associated with different types of photovoltaic power plants: Effect of vegetation management. Renewable and Sustainable Energy Reviews 162. DOI 10.1016/j.rser.2022.112491

Zhu et al. (2021) Microclimate characteristics of photovoltaic arrays and their effects on plant growth in a solar power station area. Chinese Journal of Ecology 40. DOI 10.13292/j.1000–4890.202110.016